Längst vergessen: „Hallowed Ground“ von Erasure

Was meinten Erasure, als sie 1988 auf dem Album „The Innocents“ vom „Hallowed Ground“ sangen? Ich denke, es ist weder der Tempelberg in Jerusalem noch irgendwas, was von Truppen eingenommen wurde. Ich glaube, wir sollten einmal der Frage nachgehen, wovon „Hallowed Ground“ handelt, das für mich beste Lied von Erasure. Und falls Sie sich fragen, wieso Sie das Lied nie im Radio gehört haben: Es war nie Single. Und wieso ich das Titelbild ausgewählt habe, wird Ihnen sicherlich bald klar. Schauen wir uns also mal an, was es zu dem Lied zu sagen gibt.

Hallowed Ground – Heiliger Boden?

Jeder ist fest entschlossen, jemanden zu töten. Die Straßen sind gesperrt, und da ist ein Kind auf der Flucht. Die Kugeln heulen von Gewehr zu Gewehr. Jeder ist darauf aus, irgendjemand zu sein. Die Kälte und die Dunkelheit einer kriminellen Morgendämmerung. Sie sind in Wolldecken gehüllt, sie müssen sich selbst warm halten. Ein Baby in den Armen einer Mutter im Teenager-Alter. Wer wird da sein? Wer wird das nächste Opfer dieser kriminellen Morgendämmerung sein?

Unten an der Straßenecke sitzt ein gebrochener Mann. Er hängt an der Flasche, obwohl er schwört, es nie wieder zu tun. Und er verlor sein Geld beim Hunderennen und beim Gin-Saufen. Er sucht sich sein Abendessen in der Mülltonne. Die Kinder hängen am alten Schulhof herum.. Dort direkt am Fluss, wo sie die Leiche gefunden haben. Sie werfen Steine auf den heiligen Boden. Wer wird da sein? Wer wird das nächste Opfer dieser kriminellen Morgendämmerung sein?

Alte Freunde treffen sich am Rande der Stadt, sie führen eine Unterhaltung und hoffen, dass die Dinge bald besser werden. Während die Kinder sich treffen, liegt ihnen die Welt zu Füßen. Sie wissen nicht, was sich um die Ecke befindet. Leben wir für eine unsichere Zukunft? – Kannst du sie rufen hören?

Chaos im Heiligen Land?

Bereits auf dem Album „The Circus“ war im Titelstück von heftiger Gesellschaftskritik am Thatcherismus die Rede. Bei „The Circus“ zogen die Konzerne einfach weiter und hinterließen verrottende Industriebrachen. Und „Hallowed Ground“ führt diese Geschichte konsequent fort. Die Gegend, von der da in dem Lied die Rede ist, erlebt eine wirtschaftliche Depression mit Selbstmorden, Obdachlosen und marodierenden Banden. Dazwischen das Baby auf dem Arm seiner viel zu jungen Mutter. Wer glaubt, dass das Alles nicht passiert ist, muss sich mal mit Großbritannien in der zweiten Hälfte der Achtziger beschäftigen.

Das Lied selbst ist scheinbar bewusst relativ sparsam instrumentiert. Die getragene Stimmung im Lied passt wunderbar zur Botschaft, die Erasure 1988 vermitteln wollten. Nämlich, dass ein schlanker Staat und ein selbst regulierender Arbeitsmarkt nicht immer so die beste Idee sind. Sänger Andy Bell klingt im Lied mahnend, und er erreicht Höhen beim Singen, dass es selbst im Westminster Palace gehört werden müsste. Wer durch marktradikale Ideen Chaos und Anarchie fördert, wird niemals gewinnen.

„Hallowed Ground“ ist für mich das beste Lied der beiden Briten. Es ist eins dieser ganz besonderen Lieder, die eindringlich und ergreifend von den Sorgen und Nöten der Menschen mit Blick in die Zukunft erzählen, ohne den Zeigefinger zu erheben. Vielleicht ist damit dieses Lied eins der besten Synthie- und New Wave-Stücke, die jemals geschrieben wurden. Aber wie das immer so ist: Wer weiß das schon so ganz genau, nachdem Geschmäcker immer verschieden sind?

Das Lied

Mal ehrlich, „Hallowed Ground“ wäre wie so manch anderes großes Stück Musik viel zu schade für das Radio gewesen. Es gehört nun einmal nicht zwischen Werbeblöcke, Wetter und Nachrichten. Deshalb ist es einfach mal richtig, dass Andy Bell und Vince Clarke „Hallowed Ground“, diese wichtige Gesellschaftskritik, nur auf das Album „The Innocents“ gepackt haben. Und was ist das bitte für eine großartige Nummer:

Hallowed Ground (2009 Remaster)
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