Der Mauerfall

Jaja, heute palavert jeder daher, wie das vor 25 Jahren war. Der 9. November wird hergenommen, um dem Mauerfall zu gedenken. Medien, Politik und so erzählen, wie das damals war. Jetzt kann man natürlich drauflos schwafeln, was da damals alles passiert ist. Und es gibt auch jede Menge Leute, die das Alles nicht mehr hören können. Man kann das nachvollziehen. Aber ich erzähle auch mal ein paar Worte dazu.

Ich habe 1990 mit meiner damaligen Lehre begonnen. Statt „Instandhalter“ nannte sich das dann „Industriemechaniker“. Man hatte ja Vergleiche, wie die Lehre so ablief. Der Industriemechaniker ist ein hoch angesehener, spezialisierter Beruf. Aber was haben wir gemacht? Wir haben bei der Verschrottung eines Industriekomplexes mitgemacht. Nebenan war ja ein neuer teilweise in Betrieb gegangen und wurde nach und nach weiter ausgebaut.

Man ahnte, dass viele Leute, mit denen wir Lehrlinge so nach und nach im Betrieb in Berührung kamen, eher unzufrieden waren, weil sie nicht wussten, wie es weitergeht. Aber wir fanden das cool, denn wir waren ja froh, mittendrin zu sein, als die DDR abgebaut wurde.

Wir lehnten auch ab, die große Tageszeitung des Leipziger Raums zu lesen. Die LVZ war für uns eine Parteizeitung. Ich konnte mich an die vielen Überschriften der DDR erinnern, in denen von der Planübererfüllung in der Landwirtschaft die Rede war. Und in den Geschäften war kaum Ware zu kaufen. Daher war die LVZ für uns ein rotes Tuch. Man las stattdessen eine Zeitung namens „Wir in Leipzig“. Erst Jahre später stellte man fest, dass diese Zeitung irgendwie noch größerer Schund als die BILD war. Aber in der Nachwendezeit war man euphorisch und wollte alles anders machen als vor dem Mauerfall.

Ich kann mich an die Montagsdemos erinnern. In der Schule hatten wir diverse Kameraden, die gingen immer auf diese Demonstrationen. Am Anfang war das eine Art „Räumer und Gendarm“.  Hier und da kamen sie mit Blessuren in die Schule. Es hieß dann immer, dass sie „Bullen klatschen“ waren. In der Schule selbst hatten die Lehrer äußerste Mühe, irgendeinen sinnvollen Unterricht in der 10. Klasse zu veranstalten. Und irgendwann war ich eben auch mal auf einer Montagsdemo.

Das fühlte sich irgendwie speziell an. Es war Herbst, kühl, regnerisch, abends. Und die „Wir sind das Volk“-Rufe hallen bis heute in meinem Kopf wider. Das war der Montagabend, als rund um Leipzig an den Autobahnen die Truppen aufgefahren sein sollen. Die Luft war zum Schneiden. Der komplette Augustusplatz, der damals noch Karl-Marx-Platz hieß, war menschenüberflutet. Und nach dieser Demo war eben das Thema DDR eigentlich durch.

Der Abend, als Günther Schabowski verkündete, dass die Grenzen nun offen wären, verfolgte ich am Fernseher. Es gab nicht wenige, die das sofort ausnutzten und noch in der Nacht in den „goldenen Westen“ fuhren. Nur gucken, sie kamen ja wieder.

Wir waren natürlich auch gucken. In Berlin und in Braunlage. Mit Viehtransport-ähnlichen Busfahrten. In Berlin habe ich irgendwo den ersten Döner meines Lebens gegessen. In Braunlage fand ich es als Kind der Großstadt irgendwie nur langweilig. Und überhaupt habe ich mich immer in Leipzig am wohlsten gefühlt. Das hat sich nie geändert.

Nach der Wende suchten viele zwielichtige Leute die Leute im Osten heim. Da kamen windige Versicherungsleute, die richtiggehend Jagd auf die „Ossis“ machten. Wegelagerer verscherbelten für 500 D-Mark Schrotthaufen und erzählten, dass das Autos sein sollten. Bücherclubs suchten die Haushalte heim und drehten solche Dinge wie die komplette Brockhaus-Enzyklopädie an, weil man das ja brauchte.

Tja, und Drückerkolonnen gab es. Unmassen. Fernsehzeitungen, Postkarten, allerlei Dreck wurde den Leuten im Osten angedreht. Ich war damals auch Teil einer solchen Bande. In Essen, im Ruhrpott, aber aufgegabelt im Osten. Ich bin da mehr oder weniger hereingerutscht. Das war schon kriminell, wie die Leute mit ihren „Mitarbeitern“ umgingen. Das war ziemlich die kritischste Phase meines Lebens, obwohl das nur 2 Monate ging.

Die Zeit direkt VOR und direkt NACH der Wende war eine schräge Phase. Mittlerweile hat sich das Alles beruhigt. Ich habe inzwischen einen Beruf in einer großen IT-Firma. Die Zeit, als sich aber alles hier veränderte, als man von der ehemaligen DDR vom „Wilden Osten“ geredet hatte, die wird unvergesslich sein. Aus der „Mark“ wurde „D-Mark“ wurde „Euro“. Die Preise sind reihum gewaltig gestiegen. Die Welt ist im Vergleich zu vor 25 Jahren rau geworden.

Aber die gespielte Heimeligkeit, die die DDR seinem Volk vorgemacht hatte und die das eigentliche Chaos überdeckt hatte, habe ich inzwischen eingetauscht in eine gespielte Heimeligkeit, in der ein Land vorgespielt wird, das besser dastehen würde, als es tatsächlich tut. Aber ich würde nie im Leben diese Heimeligkeit gegen die Heimeligkeit vor 25 eintauschen. Lieber so, als ein herausgeschobener Zusammenbruch einer kompletten Nation. Und spätestens 1989 wäre die DDR eh zusammen gebrochen.

Nein, es war nicht alles schlecht in der DDR. Aber ich denke, ich hätte mich da nicht wohl gefühlt. Ich hatte die DDR ja als Kind und Teenager kennengelernt. Aber ich würde nicht behaupten, dass ich mich heimisch gefühlt hätte. 115% Plan-Übererfüllung, und dem Land ging es so schlecht, dass weder Häuser saniert werden konnten noch in den Geschäften etwas sinnvolles zu kaufen war. Das wollte man nicht mehr.

Man wollte eigentlich nur für seine Arbeit entlohnt werden und sich entsprechend versorgen. Das war aber nicht wirklich drin. Es gab ja nichts. Das trübt die Freude am Sozialsystem der DDR. Man war behütet. Aber es wurde dem Volk eine große Show vorgespielt. Und man wollte einfach nur außerhalb einer riesigen Blase leben.

Der Mauerfall war bitter notwendig. Es ist nicht alles gut gegangen. Aber es ist auch nicht alles schief gegangen. Ich finde es nach wie vor gut und richtig, dass die Einheit wirklich gekommen ist. Nur sollte sich das deutsche Volk endlich auch von der imaginären Mauer lösen. Finden Sie nicht?

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