Der Tag der deutschen Uneinigkeit

Einigkeit und Recht und Freiheit: diese drei Säulen Deutschlands sind gar nicht so stark, wie man denkt. Am Tag der Deutschen Einheit wird das klar. Es manifestiert sich so deutlich daher, dass die deutsche Gesellschaft so gespalten ist, wie sie lange nicht war. Unter dem Motto „Danke Merkel“ ist hierfür auch schon eine Schuldige gefunden. Aber stimmt das denn überhaupt? Heute wird der Nationalfeiertag in Dresden begangen. Dieser wird in diesem Jahr von Scharmützeln begleitet. Das ist nicht das Deutschland, wofür die Menschen am Ende der DDR auf die Straße gingen. Ehrlich nicht.

Warum schreibe ich von Scharmützeln? Unter Scharmützeln versteht man kleine, örtlich und zeitlich begrenzte Kämpfe kleiner Einheiten innerhalb eines größeren Konflikts. In Deutschland haben wir ohne Frage einen großen Konflikt. Was mal als gesellschaftliche Diskussion angefangen hat, ist zu einem Gefecht ausgeartet, das nicht immer nur friedlich abläuft. Wenn es nicht friedlich abläuft, dieses Gefecht, dann haben wir Scharmützel. Da werden Brandbomben gelegt, Kämpfe ausgetragen, Gewaltakte verübt und all das. Das sind Scharmützel.

Von Scharmützeln sprach man auch, als Che Guevara das, was er in Kuba gemacht hatte, nach Bolivien bringen wollte. Im Hochland von Zentralbolivien lieferten er, seine Truppen und Rebellen sich Kämpfe mit den bolivianischen Regierungstruppen. Oder die Sowjetunion und China: Die lieferten sich einzelne Kämpfe, die mitunter ziemlich blutig abliefen, an der sowjetisch-chinesischen Grenze an Amur und Ussuri. So etwas – also Scharmützel –  liefern sich mutmaßlich rechte und mutmaßlich linke und andere Truppenteile rund um die Feierlichkeiten in Dresden.

Unter dem Motto „Brücken bauen“ will sich Deutschland feiern. Man will sich weltoffen, bürgernah und bunt zeigen. Nebenher tobt aber ein gewaltiger Konflikt um die Zukunft Deutschlands. Dieses Land ist uneins, wie es selten in der Geschichte war. Alte Grabenkämpfe zwischen Ost und West, zwischen Nord und Süd, zwischen arm und reich, zwischen eigentlich allen Gesellschaftsgruppen flammen wieder auf. Eigentlich kann das die deutsche Politik nicht ignorieren. Es wirkt aber so, als ob sie genau das tut.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck werden auf der offiziellen Feier beschimpft. Und es wirkt so, als ob sie das Alles klaglos einstecken. Die ganze Feier in Dresden läuft höchst angespannt ab. Da kann sich die deutsche Politik noch so sehr hinstellen und behaupten, dass alle Menschen das Volk sind. Wer das nicht hören will, schaltet sowieso auf Durchzug. Man hat die Menschen nicht mitgenommen und erwartet nun, dass sie der Politik folgen. Das kann so nicht funktionieren, und das wird der deutschen Politik in Dresden aufgezeigt.

Es ist nun einmal so, dass viele denken, dass die deutsche Politik – und Angela Merkel als Bundeskanzlerin ganz vorn dran – das Volk verraten hat. Was sie nicht gemacht hat, die deutsche Politik, ist, dass das Volk mit einbezogen wird. Ich habe es in der Vergangenheit oft genug geschrieben, dass zum Beispiel die Probleme mit den Flüchtlingen gar keine Probleme geworden wären, wenn man diese nicht einfach genommen hätte und LKW-weise auf Dorfplätzen abgekippt hätte. Nun gut, man hat bisher noch jeden irgendwie versorgt bekommen. Aber das Volk fühlt sich in Teilen nicht gefragt.

Ich sehe immer mal wieder ganz gern die Sendung „Erde an Zukunft“ auf dem KIKA, vor allem, wenn meine Tochter bei uns ist. In dieser Sendung wird immer wieder die hypothetische Frage in den Raum geworfen, wie wir in der Zukunft leben möchten. Ich denke, vielen Menschen hierzulande macht es Angst, an die Zukunft zu denken. Heterogene Gesellschaften sind vielen Menschen fremd. Und es ist auch vielen Menschen fremd, weltweit nach dem besten Platz zum Leben, Lernen und Arbeiten zu suchen.

Die Zukunft wird sich irgendwann so gestalten, dass es völlig egal ist, wer mein Nachbar, meine Kollegin, meine Freunde sind. In Teilen ist dies auch schon so. Aber eben nur ansatzweise. Ich halte es für gelogen, wenn man behauptet, dass sich Gesellschaften nicht durchmischen können. Es kommt allerdings darauf an, dass sich alle akzeptieren und tolerieren. Und das geschieht zu wenig. Und wenn ich sehe, dass deutschstämmige, islamische Hassprediger vom Untergang der Ungläubigen erzählen, wird mir einfach nur schlecht.

Es darf sich dann niemand wundern, wenn sich so viele von Zukunftsvisionen abwenden. „Erde an Zukunft“ ist dann gescheitert. Dann ist es logisch, dass sich so viele Menschen unverstanden und nicht mitgenommen fühlen. Und dann wiederum ist es klar, dass die deutsche Politik als Volksverräter beschimpft wird. Deutschland ist weltoffen, bunt und bürgernah. Aber: das sind progressive Adjektive. Deutschland ist aber nicht progressiv. Das Land und die Gesellschaft gelten nach wie vor als konservativ. Man baut lieber auf Traditionen und hält diese hoch, weshalb auch viele Angst vor neuem haben.

Aber ehrlich: Die Deutschen sind doch keine Angsthasen, oder doch? Das Land befindet sich an einem Scheideweg. Wollen wir weiter irgendwo im Ungefähren bleiben? Das würde zwar gut zur Bundeskanzlerin passen, aber passt das zu Deutschland? Der Deutsche ist strebsam, am Fortschritt interessiert, vielem aufgeschlossen. Seien wir neuem ebenfalls aufgeschlossen! Aber orientieren wir uns auch an traditionellem. Die Mischung macht es aus. Die Sicherheit darf ebenso wenig aufs Spiel gesetzt werden wie der Weg in die Zukunft.

Scharmützel sind auf dem Weg in die Zukunft zwar verständlich, können aber vermieden werden. Der gesellschaftliche Konflikt, der nicht erst seit der Völkerwanderung der Flüchtlinge tobt, muss begleitet werden. Die Politik, die Gesellschaft, alle müssen auf der Debatte ihr Podium haben. Dann kann der richtige Weg gefunden werden. Bislang scheint es mir so, als ob die Gesellschaft im Nebel herum stochert. Sind die Sinne etwa durch zu viel Protektionismus getrübt? Ich weiß es nicht.

Deutschland ist uneins, was nicht nur die gesellschaftliche Debatte zeigt. Sobald Gewalt die Debatte bestimmt, ist jegliche Argumentation am Ende. Es muss jeder mitgenommen werden und jeder in der Debatte Gehör finden. Ich glaube aber, dass genau das versäumt wurde. Und nun ist es an vielen Ecken zu spät. Deshalb begehen wir in diesem Jahr den Tag der deutschen Uneinigkeit.

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