Wir müssen Brücken bauen. Nein, es müssen nicht nur die vielen kaputten Brücken ersetzt werden. Auch wir brauchen so einige der Bauwerke. Oben seht ihr die Brücke der Schnellfahrstrecke von Erfurt nach Nürnberg, wie sie über dem Schwarzatal bei Goldisthal im Landkreis Sonneberg thront und die Menschen aus diesem verruchten Flecken Erde schnell herausbringt. Es muss schlimm sein, wenn man dort einen AFD-Mann zum Landrat wählt. Wie doof muss man sein? Na, schon gehört? Was, wenn das gar nicht so einfach ist? Vielleicht sollten wir mal reden?
Jahrzehnte der Katastrophen machen etwas mit einer Gesellschaft
Ich war ja vor einiger Zeit mit meiner Frau in Südthüringen. Guckt mal in den Artikel, da könnt ihr noch was von Goldisthal angucken. Das Nest ist so klein, dass es nicht mal eine eigene Verwaltung hat, das wird im benachbarten Neuhaus am Rennweg erledigt. Forstwirt Kay Machold ist der Bürgermeister im Ort mit dem gigantischen Pumpspeicherwerk, einem der größten und modernsten in ganz Europa. Dadurch ist Goldisthal eine Sackgasse, in den Nachbarort Scheibe-Alsbach geht es über Umwege.
Warum erzähle ich euch das? Wie ihr dachte ich auch immer: Die im Landkreis Sonneberg haben doch sicher nicht mehr alle Tassen im Schrank, wenn die einen ausgewiesenen Rechtsextremen zum Landrat machen. Dabei hat der Landkreis Sonneberg seine ganz eigene Geschichte, war er doch in der DDR eingeklemmt zwischen Rennsteig und deutsch-deutscher Grenze in einem kleinen Zipfel, der umzingelt von Stacheldraht war.
Vieles aus der damaligen Zeit wurde mehr oder weniger platt gemacht, auch der Landkreis, der mit dem damaligen Kreis Neuhaus am Rennweg zwangsvereinigt wurde. So kam das kleine Goldisthal zu den angeblich so rechtsradikalen Sonnebergern. Und nach der „Kehre“, wie Uwe Steimle gern die Wende nennt, ging es ziemlich rund in Thüringen, so mit Ministerpräsidenten aus der früheren CSSR und Rheinland-Pfalz und für manche Menschen viel gefühlter Mauschelei im Landtag.
Ich habe die Leute in Südthüringen erlebt. Die haben dem Nazi Tommy Frenck seine Kneipe in Kloster Veßra madig gemacht, sodass er gegangen ist. So schlimm können die nicht sein. Vielleicht, denke ich mir, ist es dann in Südthüringen ja so, dass die Menschen sich einfach nichts mehr erzählen lassen wollen und deshalb diese Ergebnisse zusammengewählt haben. Es wäre zumindest eine Idee, wenn man mal was anderes denken will als „Die sind doof“.
Wie den Menschen dort geht es eben auch vielen anderen in Deutschland: Die vielen Katastrophen haben etwas mit der Gesellschaft gemacht: Die Terrorlage seit 2001, die entsetzlich vielen Kriege, die Finanzkrise, die Eurokrise, der Islamische Staat, Corona, Russland, Israel, Palästina, Iran, was wollt ihr noch? Ach ja: Klima. Ich glaube, die Gesellschaft ist müde. Und der müssen wir nun halt mal Brücken bauen.
Man schimpft nicht nur auf „Neubürger“ und „Qualitätseinwanderer“
Ihr kennt ja alle diese schnippischen Kommentare, wenn es darum geht, dass irgendwer, der nicht wie ein „lupenreiner Kartoffel-Deutscher“ aussieht, irgendwas verbrochen hat. Schnell heißt es „Hach, wundervolle Kerlchen, unsere Qualitätseinwanderer“ oder „Gottseidank, ein Neubürger“. Auch gern beliebig anders, es ist auch egal. Jedenfalls ist das nicht immer der Grund, was die Leute auf die Palme bringt. „Palme? Welche Palme?“, höre ich Torsten Sträter fragen, aber wir müssen hier weitermachen.
Nein, es ist auch viel irgendwie der Gedanke, dass es nicht mehr gerecht zugeht. Wenn wir unserem Gegenüber Brücken bauen würden, würde uns dieses Gegenüber eben auch erzählen, dass man das Gefühl hat, Arbeiten würde sich nicht mehr lohnen. Man würde erfahren, dass man die Nase voll hat von den ewigen Preissteigerungen oder dass man beim Arzt länger warten muss. Und dann kommen die Seelenverkäufer der AFD und flüstern ihnen was ins Ohr, was nach einer Verheißung klingt.
Im Fall von Sonneberg hat der Robert Sesselmann einfach wild ein paar Parolen rausgehauen. Vielleicht auch mit dem Hintergedanken „Die sind doch nie so blöd, dass die mir das glauben“. Blöd waren die Wähler nicht, gewählt haben sie dennoch entsprechend. Und das nicht wegen „der Ausländer“. Sondern wegen der maroden Klinik und den kaputten Straßen. Dahingehend hat sich zwar nicht viel getan, aber daran sind halt „die in Erfurt“ schuld. Ach ja, und „die Grünen“.
Ich glaube aber, wenn man den Leuten besser zuhören würde, würde man hören, dass die auch nur sehen wollen, dass im Schatten ihres Kirchturms irgendwas passiert. So wie vor ein paar Tagen, als ein ziemlich großes House- und Techno-Fest namens „KulturRausch“ in Sonneberg stattfand und alle Welt friedlich und ausgelassen feierte wie bei so einer NatureONE in klein. Sowas braucht die Region, und für sowas muss man die Brücken bauen.
Das ist doch wie überall, oder? Zeigt man den Menschen, dass sie einem nicht völlig egal sind, machen die auch einiges mit. Und wer weiß, vielleicht hat so eine Veranstaltung irgendwas ausgelöst, was die Leute wieder verbindet. Wir können das ja alles nicht beurteilen, wenn wir nicht da vor Ort sind. Mit Blick auf Sonneberg gibt es hier eine ganz gute Zusammenfassung, was bei Robert Sesselmann alles so schief ging. Ich habe nichts besseres frei verfügbar gefunden.
Lasst uns Brücken bauen
Ich bin eigentlich nach einem anderen Thema auf der Suche gewesen, als mir der Artikel vom Horst in den Reader geworfen wurde. Sein Befund ist, dass man das Gefühl bekommen kann, das Vokabular der Vernunft sei erschöpft. Denn niemand will mehr zuhören. Am Ende passiert nur eins, und das ist Spaltung. Es geht doch lange nicht mehr um Verständnis, sondern um das Überbieten, Abwerten und Bloßstellen. Aber lest selbst beim Horst, das lohnt sich.
Tja, und dann habe ich so den Gedanken, dass man doch riesige Schluchten mit Brücken überwindet. Warum also sollten wir nicht einfach Brücken bauen? Vielleicht sollte man den Menschen gegenüber ausreden lassen, ihm mit offenen Ohren zuhören und nicht sofort alles in Grund und Boden pöbeln? Wäre das so etwas schlimmes? Natürlich soll der Streit nie zu kurz kommen. Aber ich muss doch mein Gegenüber verbal am Leben lassen. Was ist das denn für eine Unart geworden?
Wer redet, kämpft nicht, heißt es doch. Und – dings – ich kann doch nicht immer GEGEN alles sein, ich muss doch auch mal FÜR etwas sein, oder? Im Internet liest man viel zu viel Zeuch, dass man denken könnte: Wie habt ihr es nur vom Baum runter geschafft? Da erzählt man, man wolle Brücken bauen, meint aber eigentlich: Nur, wenn du die gleiche Meinung wie ich hast. Was für ein Blödsinn!
Also lasst uns reden. Ich meine, Leute wie Elon Musk sind aus guten Gründen nicht angesprochen. Aber wer Interesse daran hat, dass die Nachbarn ihm nicht in den Briefkasten scheißen, sollte anfangen, die Nachbarn auch mal zu grüßen. Reden hat immer schon dabei geholfen, wenn man Brücken bauen wollte. Das kriegen wir doch auch hin, oder? Fahrt meinetwegen alle mal nach Goldisthal und guckt mal dort rum, ob das wirklich alles Verrückte sind. Aber redet miteinander.
Deutschland ist eine Wartegesellschaft. Was immer in den letzten Jahren auf das Land zukam, die Politik hat erstmal gewartet, was passiert. Ich bin kein Journalist…
Diese Woche war irgendwie alles dabei: Schrauben locker (am Rad), Lenker zu hoch, Lenker zu tief, Physio tat gut – und dann erst recht weh. Nebenbei gab’s einen Hausarzttermin mit guten Nachrichten, Blog-Bastelei und wieder mal stressfreie Server-Updates im Job. Psychisch war’s auch Zeit für einen kleinen Boxenstopp, und zum Glück ging’s da endlich weiter. Und sportlich? 2023 und 2024 in der Fahrrad-Kilometerwertung überholt, jeden Tag im Sattel – sogar mit einem Abstecher in die Niederlande. KW26/2025 Mal wieder Server-Updates auf der Arbeit – war aber wieder stressfrei. Termin beim Hausarzt – alles gut, gibt jetzt sechs Termine Physiotherapie für Rücken und Rippen. …
Auch wenn ich nicht allen deinen Aussagen zustimme, stimme ich dir insgesamt zu. Wir müssen Brücken bauen.