Wenn ich mich so umschaue, dann scheine ich wohl zu dieser ominösen Gen X zu gehören, dieser so viel beschriebenen „verlorenen Generation“. Aber war das wirklich so? Waren wir wirklich verloren? Wenn ich ehrlich bin, dann bin ich heilfroh, dass ich in der Zeit zur Welt gekommen bin. Denn sonst hätte ich all das nicht erlebt, was man so erleben konnte. Das Titelbild hätte es vermutlich nie gegeben, denn diese Graffitis sind sicher längst übermalt. Und wir hätten kein „Smells Like Teen Spirit“ gehabt.
Gen X: Die Babyboomer waren schuld
Es geht so die These, dass die Gen X all jene Menschen umfassen würde, die grob zwischen der zweiten Hälte der Sechziger und dem Ende der Siebziger geboren wurden. Da ich 1973 geboren wurde, gehöre ich also offenbar dazu. Was hat man nicht alles über unsere Generation erzählt! Wir wären alle Nichtsnutze, Taugenichtse, würden „den Lärm der Hottentotten“ hören und nichts zustande bringen. Ach ja, nebenbei seien wir auch die erste Generation ohne Krieg.
Der Fotograf Robert Capa, dem das Capa-Haus in Leipzig gewidment ist, prägte als erster den Begriff, aber schon in den Fünfzigern. Aber eigentlich ist die Gen X sozusagen die Dazwischen-Generation. Der Zweite Weltkrieg war über eine Generation her. Allerdings waren die Boomer-Jahre auch vorbei, sodass man unserer Generation abverlangte, mit weniger Wohlstand und ökonomischer Sicherheit zufrieden zu sein. Der Preis dafür war, dass wir halt dagegen waren.
Die Gen X hatte so den Lifestyle der Konsumverweigerung. Bis heute finde ich es hochnotpeinlich, was die Werbung im Fernsehen und im Internet vor mir herum flimmert. Das liegt aber bestimmt auch daran, weil die Gen X die erste Generation war, in der es Schlüsselkinder gab, weil beide Elternteile in Vollzeit arbeiteten. Und das hat uns zu einer störrischen Horde an selbst denkenden Menschen geformt. Und die sind jetzt alle irgendwo zwischen 45 und 60 Jahre alt.
Anfang der Neunziger entlud sich all diese Schlüsselkinder-Langeweile in einem einzigen Schrei: „When the light’s out, it’s less dangerous. Here we are now, entertain us.“ – Nirvana schlugen ein wie eine riesige Bombe. Und sie sprachen einer ganzen Generation aus dem Herzen. Die ganze Dagegen-Haltung hatte endlich ihr Ventil gefunden. Und das zu einer Zeit für mich, in der die Mauer gerade gefallen war und die westdeutschen Heilsbringer die ostdeutsche Industrie plattmachten, während ich meine erste Lehre machte.
Eine besondere Zeit
Unser Coming-of-Age verlief irgendwie weltweit anders als in anderen Generationen. Es ist die Zeit der Teenager. Also im Alter von 13 bis 19. Das war bei mir zwischen 1986 und 1992, sagen wir 1993. In der Zeit habe ich Schlagzeug spielen gelernt, am Ende der Zeit bin ich auf den Synthesizer umgestiegen. Es war die Zeit, als die Mauer fiel, als die Blöcke zusammenbrachen, als die Wichtigen dieser Welt damit beschäftigt waren, ihre Pfründe in Sicherheit zu bringen.
Und wir standen irgendwie dazwischen mit einem gepflegten „Und wir?“. Ich glaube, daraus resultiert auch ein Stück weit der ganze Frust. Wir dürfen aber niemals vergessen, dass das eine Situation war, die sich weltweit abgespielt hatte. Nicht umsonst konnte Kurt Cobain ungestraft alle mit „Smells Like Teen Spirit“ anplärren und daraus einen Welthit machen. Egal, wie man zu dem Lied steht: Man muss zugeben, dass es DAS Lied der Zeit und die Hymne einer ganzen Generation war.
Nachfolgende Generationen wissen ja nicht, wie sich das damals angefühlt hatte. Die haben ganz andere Sorgen, das verstehe ich schon. Wir von der Gen X hatten diese Nirvana-Nummer, wir hatten uns dann berappelt und irgendwie allesamt was aus unserem Leben gemacht. Was uns aber vielleicht immernoch eint, ist der hohe Grad an Zynismus und Ironie. Und darunter haben die nach uns leider zu leiden.
Die nach uns kamen, sind auf der Suche nach dem Sinn. Ich glaube, die sind viel vorsichtiger, als wir das waren. Aber die sind auch viel näher an der Technik geboren als wir, was ich auch an House-Musikern im Vergleich zu mir sehe. Und die Gen Z? Das sind die „Digital Natives“, denen du aber auch sonstwas erzählen kannst. Naja, lassen wir die Gleichmacherei, denn ich weiß ja, dass diese Einteilungen so nicht ganz richtig sind.
Am Ende bleibt aber die Erkenntnis, dass das, was über die Gen X erzählt wird, irgendwie passend ist. Es gab sogar eine Band, die so hieß. Witzigerweise waren alle Mitglieder der Boomer-Generation entsprungen. Es war die Band von Billy Idol, „Generation X“, eine Punkband, die auch irgendwie zum Zeitgeist dazu gehört hatte. Was – und damit will ich den Artikel beenden – was wären wir ohne „Dancing With Myself“?






Wir sind keine verlorene Generation…. Ganz im Gegenteil, wir sind die, die man gern noch ein wenig länger in der Arbeitswelt haben möchte- weil wir’s können. Wir gehören noch zu denen, die Schule vor der „Reformation“ hatten. Wobei Reformation die letzten 40 Jahre ja immer für „kaputt sparen“ benutzt wurde, nicht für Erneuerung oder Verbesserung. Ich, geboren 1966, gehöre dann wohl zu den Anfängen der Gen X. Übrigens ist die Erkenntnis, das Umweltschutz notwendig ist und das da was passieren muss in unserer Jugend gereift. Wir sind nur zu „lieb“ um wirklich was zu erreichen…
Richtig, die ganzen Bewegungen zu diesem Thema haben ja mehr oder weniger sehr viel mit der Gen X zu tun. Aber wir tönen halt nicht so laut und kleben uns nicht fest. Das mag man anständig finden oder auch nicht. Ich nehme halt nur an, dass die Ökobilanz eine bessere wäre, wenn wir lauter gewesen wären. Da stimme ich dir vollkommen zu.
Ich bin auch von 1973 und denke, wir haben eine ganz gute Phase für die Jugendzeit erwischt. Okay, es gab sauren Regen, den kalten Krieg, das geteilte Deutschland. Aber wir wurden nicht permanent gefilmt und auf Social Media veröffentlich, wir wurden nicht dauernd mit diesen Anforderungen berieselt, wie wir zu sein hätten.
Mir persönlich kam es ganz gut entgegen, Schlüsselkind zu sein, mein eigenes Ding machen zu können und ich finde auch die öffentliche Wahrnehmung der GenX ganz lustig. So ein bisschen mysteriös, oft kommen wir in Aufzählungen zwischen Boomern und Millenials gar nicht vor.
Als ich noch auf Instagram war, bin ich einer Frau gefolgt, die über ihr Dasein als GenX regelmäßig Videos machte. Diese Frauen sind jetzt mehrheitlich hormonell auf Zinne. Das haben auch nicht alle Unbeteiligten auf dem Schirm ;)
Sehr schade finde ich, aus aus westdeutscher Sicht, dass in der Wiedervereinigung so viel Potential steckte, was dann zu großen Teilen durch Raffgier und Überheblichkeit und auch „Haben wir immer so gemacht“ und „Wir wollen ja, aber die Anderen machen nicht mit“ verpuffte.
Für uns alle ist regelmäßiges Selbstdenken auf jeden Fall ein lohnendes Hobby.
Ja, genau das ist es. Und eigentlich sind wir störrischen Biester der Gen X dazu verdammt, alles zu hinterfragen. Demnach gehört eigentlich das nicht betreute Denken untrennbar dazu. Wer weiß, vielleicht erklärt das auch am Ende vieles, wie sich dieses Land derzeit benimmt?
Interessanter Artikel, aber ich krieg die Kurve nicht, durch die Du „Jungspund“ fährst: Warum sind wir Babyboomer schuld? Wenn, dann will ich ja meine Schuldgefühle ausleben können ;-)
LG
Stefan
Na, ist doch gar nicht so schwer, alter Mann: Ihr Babyboomer seid schuld, dass wir quasi gegen alles waren. ;-)
Ich bin ebenfalls dankbar dafür, dass ich meine knusprigsten Tage in den 1980ern und noch frühen 1990ern hatte. Und finde es gleichzeitig traurig, was Kinder und Studenten in den letzten Jahren bzw. im Heute so durchleiden müssen. Schade ist, dass mir das damals nicht bewusst war bzw. man das nicht vorhersehen konnte. Ich hätte mir noch deutlich mehr Rock’n Roll als ohnehin gegönnt.