Und in Wittenberg so: Luther war hier!

Heute feiert Deutschland – ach was, die ganze Welt – den Thesenanschlag von Martin Luther an die Schlosskirche von Wittenberg. Und alles ist irgendwie gut. Und wie jedes Jahr zum 31. Oktober gibt es auch in diesem Jahr die immer gleiche Diskussion: Die Einen sprechen Luther nahezu heilig wegen der Thesen, die Anderen verdammen ihn, weil er die Kirche entzweit hat. Das stört aber sonst niemanden, denn heute ist ja ein Feiertag. Die Lutherstadt Wittenberg hat sich das ganze Jahr schon präsentiert. Und heute ist der Höhepunkt.

Außer Thesen nichts gewesen?

Die „Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum“ von Martin Luther beschäftigten sich eigentlich mit den Missbräuchen beim Ablaßhandel. Der blühte damals. Bischöfe ließen sich gut dafür bezahlen, dass das Volk von Sünden frei gesprochen wurde. So gab es von Johann Tetzel den Ausspruch „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt“. Die Kirche hat Ängste vor dem Fegefeuer geschürt. Man entkam diesem nur, indem man bezahlte.

Martin Luther geht in seinen Thesen vom Jesus-Wort „Tut Buße“ aus. Wenn Jesus das also ausgesprochen hat, dann sollte das ganze Leben der Menschen Buße sein. Ein Ablass ist ein gutes Geschäft, aber er erzielt keinerlei Wirkung. Luther stellt eine ganze Reihe Fragen, die sich mit dem Umgang der Kirche mit dem Geld aus dem Ablass beschäftigen. Wieso, zum Beispiel, baut der Papst eine gigantische, prächtige Kirche vom Geld der armen Leute und nicht von seinem eigenen? Letztlich sollen sich die Christen in die Trübsal trauen, statt auf falsche Geschäfte zu setzen.

Ob die 95 Thesen tatsächlich (alle) von Martin Luther stammen, ist bis heute umstritten. Es gibt wohl handschriftliche Ausfertigungen, die an Kirchenführer gingen. Und die stammen der allgemeinen Meinung nach schon von Luther. Es wird berichtet, dass Luther die Thesen an die Schlosskirche genagelt habe. Angeblich aber nicht nur da, sondern auch an anderen Kirchen. Es ist allerdings umstritten, woher diese Berichte stammen.

Und Martin Luther wird im Allgemeinen auf diese 95 Thesen reduziert, was aber nicht ganz richtig ist. Er distanzierte sich von aufständischen Bauern, weil sie nicht bibeltreu waren. In seinen Augen war weder Islam noch das Judentum eine echte Religion. Die reformatorischen Täufer begutachtete er nahezu als Ketzer und wollte sie verbrennen lassen. Und Hexen waren eh des Todes. Behinderte waren in seinen Augen Teufelsgeschöpfe, und Türken waren für ihn eine Bedrohung.

Keine Kirchenspaltung

Dass sich aufgrund seiner 95 Thesen in der Folge die katholische Kirche gespalten hatte, war nie in seinem Sinn. Man spricht ja von der konservativen, katholischen Kirche und von der reformatorischen, evangelischen Lutherkirche. Aber was bedeutet denn das Wort „Reformation“? Es steht nicht dafür, dass eine „neue“ christliche Kirche entstehen soll. Das lateinische Wort reformatio steht für Erneuerung und Umgestaltung. Das sinnverwandte Wort Reform beschreibt die Umgestaltung bestehender Verhältnisse.

Maßnahmen gegen die Unzucht und Armut wurden eingeführt. Es kam zu Ausschreitungen gegen Geistliche, und die Ausschreitungen mäßigten sich erst durch die Worte Luthers. In der Folge kam es eben nicht zum konsequenten Bruch mit katholischen Traditionen und tiefgreifenden Sozialreformen. Stattdessen wurden nach und nach Messen auf Deutsch abgehalten. Wer eine Zwei-Konfessionen-Kirche haben wollte, sollte dann eben auswandern.

Auf dem Reichstag zu Speyer legten evangelische Stände eine Protestation ein, und seither nannte man die evangelischen Christen auch Protestanten. Die Kirchenspaltung stand bevor, die Luther nie gewollt hatte. Er war zudem ein Geächteter und konnte nicht mehr direkt Einfluss nehmen. Die evangelische Kirche nahm ihren Lauf und existiert bis heute. Es gibt zwar Bestrebungen, sich der katholischen Kirche anzunähern. Aber das wird wohl noch sehr lang dauern. Und das hatte Luther nie erreichen wollen.

Darauf ein Reformationsbrötchen

Die Reformation war schmerzhaft und fatal. Die Menschen hatten vor 500 Jahren nichts außer dem Glauben, woran sie sich festhalten konnten. Das machte auch den Einfluss der Kirche aus. Plötzlich war da diese neue Bewegung, die mit dem Stahlbesen durch die verkopfte und bestechliche Kirche kehren wollte. Und diese Bewegung förderte viel Leid zu Tage, was nicht unbedingt immer im Sinne Luthers war. Luther selbst war nicht immer ein Waisenknabe. Er selbst war nach seinem Verständnis das, was man heutzutage als rechtskonservativ bezeichnet.

Dennoch ist heute der 500. Jahrestag des Anschlags der Thesen an die Schlosskirche von Wittenberg. Jährlich am 31. Oktober feiert man den Reformationstag. In mehrheitlich evangelisch geprägten Bundesländern ist der Tag ein Feiertag, in mehrheitlich katholisch geprägten Bundesländern ist es der 01. November, Allerheiligen, an dem der „Verherrlichung der Glieder der Kirche“ gedacht wird. In diesem Jahr ist wegen der 500 der heutige Tag überall Feiertag. Und wir gönnen uns ein Reformationsbrötchen.

Jede Erneuerung oder Umgestaltung ist erst einmal positiv zu sehen. Die Erschütterung, die vom Thesenanschlag ausging, hat die gläubige Welt schwer getroffen. Aufgrund der Unruhen und Ausschreitungen gab es viel Leid, Tote und Verletzte. Am Ende gibt es zwei christliche Kirchen, einen Feiertag und einen nahezu heiligen Martin Luther, der das nicht so gewollt hätte. Ob das 500 Jahre lang dauernde Schisma der christlichen Kirche irgendwann überwunden ist, ist nicht klar. Aber ist sie dann endlich reformiert?

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