Eisberg in Sicht: Politik und soziale Netzwerke

„Wir zeigen dir alles, was du wissen musst. Was wir nicht zeigen, musst du nicht wissen“ – So ungefähr müssen die Algorithmen in den sozialen Netzwerken Facebook, Twitter, Google+ und Co. funktionieren. Ich habe keine andere Erklärung dafür. Aber exakt diese Funktionsweise ist gefährlich für die weltweite Demokratie. In der Evolutionstheorie spricht man von der disruptiven Selektion. Dabei werden Lebensformen, die am häufigsten vorkommen, zurückgedrängt. So ungefähr muss das auch bei sozialen Netzwerken sein. Darüber müssen wir mal eben reden.

Der soziale Algorithmus

Ein Algorithmus ist eine Art Vorschrift, wie ein Problem gelöst werden kann. Es gibt darin wohl definierte Schritte. Und Algorithmen können in Computerprogrammen implementiert werden. Grob gesagt, sind Verhaltensregeln, Gesetze und Gebote ebenfalls Algorithmen. Diese waren und sind notwendig, um ein Zusammenleben zu ermöglichen. In der Informatik werden sie benutzt, um Analysen durchzuführen und dann daraus Computerprogramme und IT-Lösungen anzupassen. Die Rechtschreibüberprüfung im Textverarbeitungsprogramm gehört da eben auch dazu.

Als sozialen Algorithmus würde ich dann das bezeichnen, was in den sozialen Netzwerken abläuft. Facebook zaubert uns zum Beispiel einen Nachrichtenstrom zusammen, indem ein Algorithmus anhand von „Gefällt mir“-Angaben, Freunden, persönlichen Angaben, Chatverläufen etc. eine Art Persönlichkeitsprofil erzeugt und gemäß einer Wichtung Beiträge in die Timeline spült. Da uns das anhand der eigenen gegebenen Signale sowieso gefällt, klicken wir auf „Gefällt mir“ und verstärken diese Signale und unsere Kontakte bekommen ggf. von den Inhalten Kenntnis.

Irgendetwas außerhalb unseres Interessengebietes, das das jeweilige soziale Netzwerk anhand des Algorithmus ermittelt hat, wird so immer unsichtbarer für uns. Und da der Mensch sich gern mit anderen Menschen umgibt, die die gleichen Interessen haben, tauchen andere Interessen mit der Zeit gar nicht mehr auf. Diesen Mechanismus kann man nutzen. Vor allem ist so etwas hilfreich, wenn man ein entsprechend großes Publikum beeinflussen möchte. Das passiert immer wieder. Eigentlich kann man nur gegensteuern, indem man konkret Alternativen an Informationsquellen nutzt.

Facebook & Co. dienen der Meinungsmache

Schon im Jahr 2012 mahnte der Kolumnist Sascha Lobo im SPIEGEL das Bewusstsein an, dass kein Internetnutzer im Netz frei ist, wer sich nur auf Dienste wie Facebook, Twitter oder Google+ verlässt. Auch für Publizisten ist es schwierig, sich nur auf die sozialen Netzwerke zu verlassen. Deshalb stand ich den Instant Articles von Facebook immer skeptisch gegenüber. Wir können doch festhalten, dass die Betreiber der sozialen Netzwerke eine Hausordnung haben, wie man sich in den sozialen Netzwerken zu benehmen hat. Das kann dann durchaus dazu führen, dass man dadurch unsichtbar wird, wenn man in Ungnade fällt.

Damit machen die sozialen Netzwerke nun einmal Meinung. Das ganze Problem geht dann ja noch viel weiter. Denn die einzelnen Algorithmen der sozialen Netzwerke scheinen auch die Algorithmen der Suchmaschinen zu beeinflussen. Dazu noch die Haltung eines jeden Menschen, die besagt, dass alles falsch und gelogen ist, was nicht unserer Haltung entspricht. So entstehen gewaltig dichte Filterblasen, aus denen man nur schwer entkommen kann. Und diese Filterblasen werden konsequent ausgenutzt. Unter anderem macht die Politik die Filterblasen zum Instrument der Meinungsmache.

Nutzer stellen dabei nicht einmal fest, dass da etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Der Nachrichtenstrom in den sozialen Netzwerken ebbt nicht ab. Es fehlt also an nichts. Stattdessen nehmen sie diese Entwicklung als gut wahr, denn es macht sich eine „Ich hab’s doch gesagt“-Mentalität breit. So stricken Algorithmen eine eigene Wahrheit für jeden Nutzer. Damit kann man dann auch erklären, dass knapp die Hälfte aller Amerikaner Facebook als ihre wesentliche Nachrichtenquelle bezeichnen. Und das hat das Wahlkampf-Team von Donald Trump konsequent ausgenutzt. Und es funktioniert nach wie vor gut für den US-Präsidenten.

Den Eisberg nutzen

Das Eisbergmodell oder Eisbergprinzip ist ein Begriff aus der Psychologie. Man geht davon aus, dass in der Kommunikation eine 80/20-Regel zum Einsatz kommt. Bei einem Eisberg ragt nur ein kleiner Teil aus dem Wasser. Das wurde ja der Titanic zum Verhängnis. Das, was aus dem Wasser ragt, das ist in der Psychologie die Menge an Fakten. Der weitaus größere Teil des Eisbergs, der unter der Wasseroberfläche ist, beschreibt die Emotionen. Und dieser Eisberg lässt sich wunderbar nutzen.

Soziale Netzwerke bestehen nun einmal auch aus Emotionen. Jeder Facebook-Nutzer kennt die verschiedenen Gefühlsregungen, die man statt „Gefällt mir“ auswählen kann. Und auch Twitter macht mit Emotionen rum, nachdem irgendwann statt mit einem Stern ganz plötzlich mit einem roten Herz ein „Like“ verteilt wurde. Emotionen bestimmen das Geschäft. Und Facebook als Meinungsmacher und Gatekeeper (weil das Netzwerk bestimmt, was im Nachrichtenstrom zu sehen ist) verdient prächtig an diesem Geschäft.

Die klassischen Medien und auch die Blogs gucken dabei in die Röhre. Denn wann immer man sich trauen sollte, eine Gegenbewegung zu starten, verschwindet man im digitalen Nichts. Und wer als Nutzer der sozialen Netzwerke dann Inhalte aus diesem digitalen Nichts verbreiten sollte, kann sich eines Shitstorms sicher sein. So wird die Informationsmacht einiger weniger zum allgegenwärtigen Nachrichteninhalt aller Nutzer sozialer Netzwerke. Eine alternative Meinung wird schnell zur Verschwörungstheorie. Damit befördert man auch Extremismus in allen Facetten. Hauptsache, der Umsatz stimmt.

7 Replies to “Eisberg in Sicht: Politik und soziale Netzwerke”

  1. Hallo!
    Guter Artikel, endlich mal eine zusammenfassende Analyse der Situation – die man auch versteht.

    Wir (unsere News-Blog-Site) nutzen diese „sozialen“ Medien aber eine Art, die uns kaum in eine Richtung beeinflussen kann. Wir nutzen diese Social-Media Channels zum einen mit Accounts die nur schwer irgendjemanden oder irgendwelchen Präferenzen zuzuordnen sind.

    Dann sind va. auf Twitter völlig konträre Profile abonniert (braucht man auch, um objektiv zu bleiben);
    FB nutze ich zB. privat gar nicht, und sonst auch nichts. Privat auch nur Twitter.
    Ich denke, man wird komplett gläsern gemacht, man kann es denen aber schwer machen, einen zu berechnen.

    Die meisten machen es aber umgekehrt und staunen schon über Banner, die ihnen irgendwann angesurfte Produkte zeigen.
    Die meisten Leute glauben auch, das WWW beginnt und endet bei den „Sozialen Medien“. Wenn jemand was sucht (zb. ein Programm), nutzt er Google, klickt auf den erstbesten Eintrag (und bumm); Oder man hat FB, Twitter u. Co. als Infoquelle.
    Hinweise wie: „schau mal auf die Site des Herstellers, der tatsächlichen Quelle, …“ … „ach das gibts auch?“

    Dazu kommt das sorglose Offenbaren privater, bzw. geschäftlicher Infos, da posten peinlicher Bilder und eben das unreflektierte Weiterleiten unbestätigter Meinungen. Jene Leute reagieren aber paranoid auf harmlose Kontaktformulare wenn es zB. um den Support beim eigenen Netzprovider, Energieversorger, Interessenvertretung uä. geht.

    Das Schmied / Schmiedl Prinzip ist nicht mehr gefragt.
    (Wenn ich ein Hufeisen brauch, geh ich zum Schmied – nicht zum Schmiedl)
    Wenn ich eine Software der bekanntesten Bildbearbeitung der Welt brauche, gehe ich auf deren Site und lasse mich nicht von irgendwelchen „sozialen“ Medien „inspirieren“ (berieseln, beeinflussen, manipulieren, durchleuchten, ausspionieren, … [Zutreffendes bitte ankreuzen] )

    Aber, wir „UHUs“ (unter Hundert) haben leicht reden, man wuchs noch ohne den digitalen Kram auf und hat sich halt ein bisschen Hausverstand bewahrt.
    Die „digital Natives“, die ja soooo fit und firm im Netz sind – die legen stündlich 5 Offenbarungseide vor aller Welt ab …

    1. Hallo,

      danke für deinen Kommentar. Die Abonnements sind sicherlich ein Stückweit der Schlüssel, um Blasen zu zerstechen. Aber wie willst du jemandem mit einer zementierten Meinung dazu bringen, sich auch mal Alternativen anzuschauen? Und die, die du meinst, denken nicht nur, dass das Internet bei Facebook beginnt und endet. Die sind gar der Meinung, dass das gesamte Leben davon abhängt.

      Das Suchverhalten ist das Gleiche. Es gibt ernsthaft Leute (ich habe es selbst so gesehen), die in der Suchmaske von Bing das Wort „google“ eintippen, um zur Google-Suche zu gelangen. Hier braucht man niemandem irgendwas von Hersteller-Seiten erklären. Und diese „digital Natives“ sind einen feuchten Kehricht, aber nicht fit. Denn es ist nachgewiesen, dass unter ihnen das Krankheitsbild „digitale Demenz“ grassiert.

      1. Also ich sehe, wir verstehen uns – 100%!
        Genauso habe ich das gemeint.

        Und ja, das ist auch alles selbst beobachtet, denn auch ich werde öfters als „Auskenner“ missverstanden und (mit Geld) zu div. (auch privaten) Support-Diensten gezwungen. „Hey, du bist Webdesigner … kennst dich eh aus … bitte Hilf, mein PC schreibt so komische Sachen auf schwarzen Schirm …“ usw.
        Nutzlos, denen zu erklären, welche Welten zwischen einen einfachen Webseitenbastler (+neuerdings Blogger) und einem Profi für OS, Netzwerk, Hardware, … usw. zu sein.
        Da ist es leichter, denen zu helfen (was halt geht) und das Geld zu kassieren … echt …
        (Ich hör schon die Aufschreie der Profis „WAS?!?! schleich dich, nimmst uns die Arbeit weg!!! “ – keine Bange, ich weiß ab wo ich echte Auskenner empfehle.)
        Aber dabei erlebt man halt unglaubliche Dinge mit den Leuten. Teils lustig, teils schockierend, meistens ein Mix daraus …

        Bez. „zementierten Meinung“ naja, zugegeben, ich kann auch sowas von stur sein. Sieht man an der aktuellen „Radfahrer“ Diskussion auf Twitter.

  2. Hallo Henning,
    toller Beitrag. Was mich interessieren würde, ist deine Einstellung zum NetzDG. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich die bisherigen Reaktionen (ausdrücklich von allen Seiten) prächtig finde. Wenn sich diese Aufregung und das „Verhalten“ der Sozialen Medien so festschreiben würde, wäre es vielleicht das Ende dieser Demokratiezerstörungswerke. Für mich sind die Sozialen Netzwerke nichts anderes .Jean-Remy von Matt nannte Blogs einst „Klowände des Internets“. Das war frech. Aber er kannte damals noch nicht die segensreiche Wirkung der so genannten Sozialen Netzwerke. Sie haben hohes destruktives Potenzial. Vielleicht könnten sie all along sogar die Demokratie zerstören.

    Mir persönlich würden sie nicht fehlen. Definitiv.

    1. Hallo Horst,

      du lebst ja auch noch… Danke dir für das Lob, das liest man gern. Ich bin mir noch nicht so richtig einig mit dem NetzDG. Momentan ist es sicherlich eine Aufregungsblase, die da entstanden ist. Denn da werden momentan die unsinnigsten Dinge getrieben, auch von den „SM-Betreibern“ selbst. Na klar, damit zerstören sie durchaus die Demokratie. Insofern wäre es vielleicht sogar eine gute Idee mit dem NetzDG. Aber wie gesagt: Ich bin mir noch nicht einig.

  3. Wahrscheinlich wird das Gesetz ja schon bald kassiert oder geändert. Beides vermutlich. Bis dahin könnten ein paar von uns ja klüger werden und sich ein bisschen gelassener geben – in den sozialen Netzwerken. Damit wäre schon was gewonnen.

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