Plainsong: Wenn The Cure dich schaudern lassen

Preisfrage: Wie eröffnet man eins der einflussreichsten Rockalben der Musikgeschichte? The Cure wissen es: Mit dem „Plainsong“. Wie denn sonst, liebe Freunde? Das Lied ist ein Stück Musik, das so unscheinbar beginnt mit dem Windspiel und so, dass es dich unmittelbar ins Mark trifft, wenn die ganze Kapelle anfängt. Ich kenne keinen besseren Opener für ein Album. Und erst recht nicht für „Disintegration“, das beste Album, was Robert Smith und Combo jemals veröffentlicht hatten. Es geht aber nicht um das Album, das hatten wir ja schon. Es geht um das schlichte Lied.

Das Ende der Welt

„Ich denke, es ist dunkel, und es sieht nach Regen aus“, sagtest du. „Und der Wind bläst, als ob es das Ende der Welt wäre“, sagtest du. „Und es ist so kalt. So kalt, als wärst du tot“, und dann hast du für eine Sekunde gelächelt.

„Ich glaube, ich bin alt, und ich habe Schmerzen“, sagtest du. „Und alles geht dem Ende zu, als ob es das Ende der Welt wäre“, sagtest du. „Und es ist so kalt. So kalt, als wärst du tot“, und dann hast du für eine Sekunde gelächelt.

Manchmal fühle ich mich durch dich, als ob ich am Ende der Welt leben würde, als ob ich am Ende der Welt leben würde. „Es ist doch nur die Art, wie ich lächle“, sagtest du.

Plainsong – Das schlichte Lied

Diese paar Zeilen aus dem „Plainsong“ sind es, die mich jedes Mal immer wieder bis ins Mark treffen. Wann immer ich mal dazu komme, mir das Album „Disintegration“ anzuhören, ist es immer und immer das selbe. Mit dem „Plainsong“ beginnt das intimste, düsterste und gewaltigste Album, das man sich von The Cure vorstellen kann. Alles beginnt mit „I think it’s dark and it looks like rain“. Und vorher das unschuldige Windspiel. Wer „Disintegration“ nicht kennt, weiß nicht, was einen erwartet.

Wie aus dem Nichts kommen sie daher: Die bedrohlichen Bässe, die hymnenhaften Keyboards, das schwere, langsame Schlagzeug. Und irgendwann heult eine gefühlt erbärmlich verstimmte Gitarre ihr einsames Lied. Wenn dieses Theater aus dem Nichts einbricht, dieses Gewitter aus Düsternis, und du bist nicht darauf vorbereitet, erschlägt es dich. „Plainsong“ klingt so einfach, wie ein Kinderlied, ein Abzählreim, irgendwas für nebenbei. Und dann DAS! Robert, was machst du da?

Als ich das erste Mal damals „Disintegration“ hörte, begann es eben mit diesem unschuldigen Windspiel. Natürlich kannten wir alle das „Lullaby“, das Lied über den Alptraum der Kinder, dass der Spinnenmann sie alle fressen wird. Aber das definiert ja nicht „Disintegration“. Sondern es ist genau sowas wie der „Plainsong“. Wenn also dieses Album mit dem Windspiel beginnt und du dann von der Urgewalt erschlagen wirst, die durch die gesamte Band ausgelöst wird, dann bist du mittendrin und am Ende der Welt.

Mary und das Unheil

Ich schrieb ja oben, dass „Disintegration“ das intimste Album ist. Robert Smith spielt mit Ängsten, Depressionen, Alpträumen, aber auch mit großen Gefühlen. Wie im „Lovesong“ für seine Frau Mary Poole. Die hatte er 1988 geheiratet. Ein Jahr, bevor das Album kam. Und mich würde es überraschen, wenn der „Plainsong“ nichts mit Mary zu tun hat. Mary hatte sich gern als Hexe verkleidet, um Kinder zu erschrecken. Wer weiß, vielleicht hat sie das aufkommende Unheil ja herbei gelächelt.

Sie ist die große Liebe von Robert Smith. Sie kennen sich, seit sie als Teenager in der Theatergruppe zusammen spielten. Und sie hatte ihn immer verzaubert, wie er in „Just Like Heaven“ singt: „Show me, show me, show me how you do that trick“. Und auch wenn er unterwegs ist, ist sie immer in seinen Gedanken, wie er im „Lovesong“ singt: „How ever far away, I will always love you“. Warum nicht auch düstere Gedanken teilen? Das ist es doch, was eine echte Beziehung ausmacht.

Eine Schönwetter-Liaison braucht doch niemand auf Dauer. Und wer weiß, vielleicht ist es wirklich die Art, wie sie lächelt? Wir werden es nie erfahren. Und so entschlüsselt sich eben auch der „Plainsong“ nie vollständig. Es bleibt das Gewitter, das über das Windspiel hereinbricht und 71 Minuten Düsternis verbreitet.

Das Lied

Na klar, wer The Cure kennt und das Album „Disintegration“, der kennt eben auch den überragenden Opener „Plainsong“. Ende Mai 2019 traten The Cure im Sydney Opera House auf. Und wie haben Sie das Konzert eröffnet? So:

The Cure - "Plainsong" | Live at Sydney Opera House
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The Cure – Plainsong (Live at the Sydney Opera House)

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