25 Jahre Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen

Heute vor 25 Jahren brannte das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen. Es gab schlimme rechtsradikale Ausschreitungen. Geändert hat sich seither wenig. Viel zu wenige Leute haben umgedacht. Deshalb gab es auch in den letzten Jahren seit der großen Flüchtlingswelle aus dem Nahen Osten wieder ähnliche Szenen. Hat Deutschland nichts gelernt? Oder wie ist das einzuschätzen?

Ich habe nichts gegen Ausländer, aber …

Wie oft haben wir das schon gehört! Da gibt es die einen, die das sagen. Meistens lauten die Sätze in etwa „Ich habe nichts gegen Ausländer, aber können die nicht woanders hin?“ oder so etwas. Und da gibt es die anderen, die denken, dass jeder, der „Ich habe nichts gegen Ausländer, aber …“ sagt, erstmal per se ein Nazi sei. Geht es nicht ein wenig facettenreicher? Fakt ist aber, dass schnell aus solchen Dingen ein Mob entstehen kann. Das war vor 25 Jahren so, und das ist nach wie vor der Fall.

Wie wäre es denn, wenn sich solche Ausschreitungen auch „einfach so“ mit der Zeit entwickeln? Ich glaube das schon, was Barrack Obama im erfolgreichsten Tweet aller Zeiten geschrieben hat: „Niemand wurde geboren, um andere Menschen wegen der Hautfarbe, der Herkunft oder Religion zu hassen„. Also muss das Ganze irgendeinen anderen Hintergrund haben.

Was wäre denn, wenn sich das ganze Ausmaß ab dem 22. August 1992 mit der Zeit aufgeschaukelt hätte, wie es hier behauptet wird? Ein Mob, der einmal im Lauf ist, eskaliert ja bekanntlich immer weiter. Die Mücke wird zum Elefanten, um mal ein Bild zu prägen. Aber wie das eben so ist, vielleicht war es auch sehr klug gesteuert. Denn wenn Rechtsradikale behaupten, die Tagesschau sei die „Agitprop“ der Politik (Abteilung für Agitation und Propaganda), dann gab es vielleicht aus den Kreisen auch eine Art Agitprop, die im Hintergrund gearbeitet hat?

Asylpolitik wurde unterschätzt

Was immer man so zum Thema Asyl liest, lässt eigentlich nur eine Erkenntnis zu: Von der Politik wurde das Thema gnadenlos unterschätzt. 1992 war eben das gesamte Land noch gezeichnet von der Wiedervereinigung. Zuvor hatten Unionspolitiker immer wieder auf den emotionsgeladenen Gaul der Asylverschärfung gesetzt. Aber verändert hatten sie nichts. So rumorte es im Pulverfass. Im Jahr 1992 gab es dann folgerichtig allein in Mecklenburg-Vorpommern über 200 rechtsextremistische Taten gegen Asylheime und / oder deren Bewohner.

Klar, Lichtenhagen war eine pure Eskalation. Zu dem Zeitpunkt wohnten etwa 18000 Einwohner im Plattenbau-Viertel. Ohne Asylbewerber wohnten knapp 400 Ausländer dort, meistens gut integrierte Osteuropäer. In ganz Rostock stieg aber schnell die Zahl der Ausländer, von denen dann knapp 1500 vietnamesische Hilfsarbeiter im Hafen waren. Als die DDR-Industrie zusammenbrach, waren sie allesamt Verlierer und mussten sich so lala verdingen.

In der Folge kam es zu Asylverfahren für Sinti und Roma in Lichtenhagen. Eine Aufnahmestelle war für 300 Personen eingerichtet. Die Bearbeitung funktionierte aber nur schleppend, weshalb die Asylbewerber in der Gegend campierten. Die Stadt Rostock weigerte sich, mobile Toiletten aufzustellen, weshalb Infektionskrankheiten drohten. Und all das wurde unterschätzt, weshalb die Lage aus dem Ruder lief.

Das Pulverfass explodierte

Durch geschickte Propaganda bekannter Rechtsextreme im Zusammenspiel mit den geschilderten Umständen in Lichtenhagen explodierte das Pulverfass. Waren es erst Proteste, so folgten bald Wurfgeschosse und schließlich Brandsätze. Von der Rostocker Polizei war nichts zu sehen. Erst gegen 2 Uhr nachts kamen aus Schwerin Wasserwerfer, die allerdings den Mob noch an das Sonnenblumenhaus (oben im Foto) heran drängten. Und drei Stunden später zogen die Randalierer sich zurück. Nicht, weil sie geschlagen waren, sondern müde.

In der Folge brannten Polizeiautos, und die kriegsähnlichen Zustände wurden durch den Bundesgrenzschutz und die Bereitschaftspolizei noch verschärft. Mit der Zeit mischten neben Sicherheitskräften und Rechtsradikalen und eben auch aufgehetzten Anwohnern auch etliche Linksextremisten mit. Die gesamte Eskalation fand vom 22. August bis 25. August 1992 statt. Tausende Schaulustige, extreme Randalierer, Flüchtlinge und Sicherheitskräfte lieferten ein Bild der Zerstörung und des Hasses. Das denke ich mir nicht aus, das steht alles hier.

So etwas darf nicht passieren

Viele Asylbewerber sind unter Einsatz ihres Lebens bis hierher gekommen, vielleicht um vor dem Krieg in Syrien zu flüchten. Die brauchen hier nicht die nächste Eskalationsstufe. So etwas wie in Rostock oder wie in den letzten Jahren immer wieder darf einfach nicht passieren. Und hier sehe ich die Politik in der absoluten Pflicht. Denn wenn ich das richtig verstehe, dann ist die gesamte Eskalation in Rostock daraus entstanden, weil sich Anwohner darüber beschwerten, dass die Asylbewerber in Lichtenhagen sich selbst überlassen wurden und keine Möglichkeit als die Büsche für ihre Notdurft hatten.

Angestachelt durch die rechtsextreme Agitation war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Bombe platzte. Gewaltbereite haben dann für Zerstörung, Wut und Gewalt gesorgt. Und die Rostocker Polizei hat sich nicht zuständig gefühlt. Das muss doch alles intelligenter erfolgen. Mir kann doch keiner erzählen, dass die rechten Spinner genau so viel Macht hätten, wenn die Behörden mit Sinn und Verstand arbeiten würden und für den Fall der Fälle immer einsatzbereit wären.

So eine Flüchtlingskatastrophe wie Anfang der Neunziger oder wie die seit 2015 kann immer wieder passieren. Man muss doch darauf vorbereitet sein. Und das meine ich auch im Hinblick auf ganz Europa. Es kann einfach nicht sein, dass etliche Länder so tun, als ginge sie das Thema nichts an. Und das meine ich auch im Hinblick auf die Herkunftsländer. Denn man muss auch die Ursachen bekämpfen, statt nur zu bedauern. Lichtenhagen 1992 kann immer wieder passieren, wenn man sich um Vorsorge keine Gedanken macht.

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