Deutschland muss mehr arbeiten, heißt es neuerdings von der neu gewählten Regierung. Die Proteste ließen dann nicht lang auf sich warten. Aber wer hat denn nun Recht? Ich will einfach ein paar Takte aus meiner Sicht aufschreiben, ohne dass ich mich als Experte hinstelle. Aber ich habe eben meine Meinung, und die darf ich ja wohl noch sagen. Mir geht da nämlich einiges drunter und drüber. Und genau darüber müssen wir mal reden. Denn das Land muss nun mal aus der Krise raus kommen, oder etwa nicht?
Was bedeutet das, mehr arbeiten zu müssen?
Ich mache meinen Job wirklich gern. Das wisst ihr. Ich stelle da auch gern andere Interessen zurück. Damit meine ich nicht, dass ich mein Privatleben vernachlässige. Das würde auch unser Chef nicht von uns wollen. Und wenn Feierabend ist, ist halt Feierabend. Dennoch kam es dazu, dass ich nun bis zum Jahresende zig Überstunden abbaue. Nein, die habe ich mir nicht in kurzer Zeit aufgeschafft, sondern die sind seit der Pandemie einfach so angefallen. Das aber nur vorweg.
Ich weiß also, wie das mit dem mehr arbeiten geht. Und mein bester Kumpel als Handwerker? Der weiß das auch. Der ist auch viele Jahre nebenher noch tätig gewesen. Oder gucken wir uns meine Frau an: Seit sie ihren jetzigen Job angenommen hat, kommt es vor, dass sie auch mal am Wochenende an ihre Arbeitsstelle fährt, um dies und das vorzubereiten. Wir machen das alle irgendwie gern. Was aber nicht passieren darf, ist: Wir wollen halt nicht ausgenutzt werden.
Und wie ist das bei Menschen, von denen ich sonst so Wind bekomme? Da gibt es Exemplare, die wollen einen neuen Job anfangen und fragen erstmal nach: 4-Tage-Woche, Sabattical, wann Mittagspause ist, wo man Urlaub einreicht. Was ich damit sagen will: Wenn ich einen neuen Job anfange, muss ich doch erstmal etwas leisten, bevor ich sowas erfrage. Ich glaube, das sieht mein Chef jetzt nicht so wahnsinnig anders.
Ich habe neulich mal gehört, dass Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern ähnlichen Niveaus abscheißt, wenn es um die Arbeitsstunden geht. Sprich: In anderen Ländern, die auch hoch entwickelt sind, wird zum Teil deutlich mehr gearbeitet. Sagst du dazu aber etwas in Deutschland, bis du ein Neokapitalist und rangierst kurz vor Sklaventreibern. Aber wieso? Was ist so schlimm daran? Es geht mir dabei nicht um das mehr arbeiten müssen, sondern um das Wollen.
Du kannst sie nicht alle retten
Ich habe beim Horst die wirklich treffende These gelesen, dass wir ein Haufen verwöhnter Menschen sind. Man denkt sich hierzulande gern mal so Dinge aus wie: Früher war alles besser. Allerdings gab es da einen Status, den sich die Menschen erarbeitet haben. Der viel zu früh gestorbene Vater meiner Frau hat sich z.B. seinen Jahresurlaub finanziert, indem er einfach Überstunden gemacht hat. Mein Vater hatte in der Freizeit Fachliteratur gelesen und hatte immer lange Arbeitstage.
Wie will dieses Land einen Status erhalten, wenn wir pausenlos davon schwadronieren, wie wir am besten die Arbeitgeber austricksen, um mehr Freizeit zu bekommen? Ich will damit nicht sagen, dass wir bis zum Umfallen arbeiten sollen. Mich hatte unter anderen Voraussetzungen die viele Arbeit, gepaart mit Nachrichtensucht und privaten Großbaustellen in eine wirklich ernsthafte gesundheitliche Lage versetzt. Aber wenn wir die Arbeitsmoral nicht steigern, kommt das Land nicht aus der Krise.
Wir sollten alle nicht mehr arbeiten, um den Sklaventreiber von Arbeitgeber immer reicher zu machen, wie es auch oftmals heißt und was ich als Quatsch ansehe. Nein, wenn, dann sollten wir wenigstens so arbeiten, dass wir nicht von anderen hoch entwickelten Volkswirtschaften ausgelacht werden. Mir geht es dabei nicht um die 14-Stunden-pro-Tag-Chinesen bei Foxconn. Mir geht es um Frankreich oder Skandinavien, nur damit wir das einordnen.
Am Ende kannst du sie aber auch nicht alle retten. Wenn wir mal wegkommen von denen, die eh arbeiten, hast du eben auch einen kleinen Teil der Bevölkerung, die überhaupt nicht wollen. Nicht die, die aus den verschiedensten Gründen nicht können. Die machen es natürlich auch wieder kaputt. Wenn die mitmachen würden, wenigstens ein bisschen, wäre dem Land auch schon ein wenig geholfen. Aber wehe du sagst da was. Fragt mal rum, was man da an Kommentaren bekommt.
Der Staat kann nicht alles
Klar, über die Politik müssen Rahmenbedingungen gebastelt werden, unter denen vernünftig gearbeitet werden kann. Und die Infrastruktur muss dafür auch vorhanden sein. Der Staat kann aber auch niemanden an die Hand nehmen, um ihm den Arbeitsplatz zu zeigen. Ich muss doch selbst genügend Verantwortungsbewusstsein haben, dass ich erkenne, dass es so nicht ewig weitergehen kann: Immer weniger arbeiten, aber den Lebensstandard erhalten.
Jaja, ihr werdet jetzt sagen: „Ich brauche nicht so viel“. Das mag ja sein. Aber ist es nicht auch so, dass es mehr Steuereinnahmen gibt, wenn wir mehr arbeiten? Und können damit nicht etwa mehr Aufgaben erfüllt werden, für die der Staat zuständig ist? Und der ist nicht dafür zuständig, dir zu erklären, dass dir deine Work-Life-Balance im Zweifelsfall nicht das Abendessen bezahlt. Aber ich merke schon beim Schreiben, dass ich für diesen Artikel beschimpft werden könnte.
Klar, Carsten Linnemann und Friedrich Merz kommen mit ganz seltsamen Vorstellungen um die Kurve. Geschenkt. Natürlich ist es Quatsch, wenn sie erzählen, dass es ein Segen für die Rentenversicherung und für Deutschland-aus-der-Krise sei, wenn Rentner das mit der „Aktivrente“ machen und dann trotz Ruhestand weiter buckeln. Sie haben aber einen Punkt, wenn sie sagen: Lasst uns wenigstens wieder so arbeiten, dass wir mit anderen Ländern mithalten können.
Mein Chef hatte nach der Pandemie Mitarbeiter gesucht. Viele hatte er wegschicken müssen, weil die eben erstmal nach Freizeit, statt nach möglichen Aufgaben gefragt hatten. Und das beschreibt die ganze Nummer ziemlich gut. Mehr arbeiten heißt nicht, dass wir uns totschuften sollen. Die berühmte „Ruck-Rede“ vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog 1997 beschreibt das ganz gut. Damit ist aber auch aufgezeigt, dass das Thema schon rund 30 Jahre gährt. Wann geht es denn los?
Schwierig… zumindest, wenn ich mir meine Branche (E-Commerce) so anschaue, bedeutet mehr Arbeit – sprich, jeder Mitarbeiter bleibt länger oder arbeitet „schneller“ – nicht zwangsläufig mehr Umsatz, da das nicht so klar korreliert bzw. skaliert. Ich denke, die viel mächtigere Stellschraube ist die Effizienz – sprich, wie sinnvoll ist das, womit ich da gerade meine Zeit verbringe, und wie kann ich diese Tätigkeit schneller erledigen oder ganz automatisieren, ohne dass die Qualität auf der Strecke bleibt. KI im Kundenkontakt kann nach hinten losgehen, aber automatisiertes Reporting und Datenanalyse bspw. schaffen Vorteile gegenüber stundenlang manuell mit Excel struggelnden Mitarbeitern.
Damit hast du völlig Recht. Auch in meiner Branche – IT-Service – denkt man, man gewinnt irgendwas mit KI. Und dann landet der Löwe tatsächlich nur als Helferlein im Werkzeugkasten.
Ich bin mir aber tatsächlich nicht sicher, ob es immer die Effizienz ist. Ich sag mal so: Es ist immer etwas plump ausgedrückt und klingt ziemlich doof, aber es ist schon was dran, wenn ein Arbeitgeber von diversen Mitarbeitern meint, sie würden Arbeitszeit „stehlen“. Das machen weder alle Arbeitgeber noch alle Arbeitnehmer. Aber wer sich hinter einem schon längst abgeschlossenen Auftrag verschanzt, nur um in Ruhe während der Arbeitszeit eine Serie fertig zu gucken, der fällt halt in die Kategorie. Nochmal, das machen nicht alle und nicht alle behaupten das. Ich befürchte halt, solche Mitarbeiter kriegst du auch nicht umgebogen, selbst wenn du die effektivsten Hilfsmittel hast, die Mitarbeiter gut bezahlt werden und die Arbeitsbedingungen stimmen.
Und das ist es, wo ich denke, dass die Politiker da auch ihren Punkt haben. So, wie sie auch ihren Punkt haben bei den arbeitsfähigen Personen, die partout nicht arbeitswillig sind. Niemand redet dabei von der alleinerziehenden Mutter, die den Kinderwagen so lang bei McDonald’s auf den Parkplatz stellen soll. Was natürlich Quatch ist, dass den Politikern als erstes Rentner einfallen, um die Arbeitsstunden zu erhöhen. Aber irgendwas ist ja immer.
Meiner Meinung nach sollten wir hier mehr differenzieren. Der Vorwurf der Faulheit ist außerdem völlig überzogen. Wir arbeiten genug! Die CDU führt damit nur eine Scheindiskussion.
Lorenzo, das mag für dich zutreffen, das mag auch für Millionen und Abermillionen anderer Menschen zutreffen. Und auch ich ziehe mir den Schuh nicht an. Aber es gibt sie halt, die Menschen, die nur so tun als ob. Und die müssen irgendwie dazu gebracht werden, sich wenigstens halbwegs so einzubringen wie die, die die Politik immer als „die hart arbeitende Mitte“ bezeichnet. Es geht immer nur um die paar schwarzen Schafe, die eine ganze Herde grau färben.
Ob wir als Gesamtbevölkerung in Deutschland wirklich mehr arbeiten oder (wie Anne sagt) einfach mit mehr Effizienz arbeiten müssen, das kann ich so nicht sagen. Leider gibt es Leute, welche dieses Thema gleich wieder benutzen, um gegen ausländische Menschen zu hetzen. Habe ich heute erlebt.
Das kommt ja noch dazu. Und genau die zugewanderten Menschen können häufig mal gar nichts für den Zustand. Viele von ihnen werden sicherlich gern arbeiten wollen, aus irgendeinem Grund lässt man sie aber nicht.
Und das ist überhaupt so ein Thema: Wenn jemand nicht kann, aber will, muss dieser Mensch mit allen Kräften unterstützt werden. Wer aber kann, und nicht will, darf nicht erwarten, dass man unterstützt wird.
„Wenn die mitmachen würden, wenigstens ein bisschen, wäre dem Land auch schon ein wenig geholfen.“
Für dieses „wenigstens ein bisschen“ sollten von Seiten der JobCenter ein paar attraktive Optionen eröffnet werden, das würde vermutlich zumindest einige motivieren, die ‚“von gar nicht auf Vollzeit“ einfach nicht schaffen.
Warum? Sie sollen doch wenigstens erstmal zeigen, dass sie auch wollen. Ich hoffe, du meinst hier Langzeitarbeitslose. Weißt du, ich hab mein Leben lang bisher gearbeitet. Außer als meine Knie nicht mehr mitgemacht hatten. Da habe ich mich allerdings um eine Umschulung bemüht und bin danach wieder ins Berufsleben eingestiegen.
Wenn es für Person XYZ halt aus gesundheitlichen Gründen nicht weitergeht, darf man doch erwarten, dass diese Person sich beraten lässt, was man jetzt tun könnte. Mir sind aber Menschen bekannt, denen die Gesundheit auch mitgespielt hat, die sich aber seitdem genau dahinter verstecken. Ich kann heutzutage auch manches Mal gar nicht auftreten. Dafür habe ich aber jetzt auch einen Bürojob, wo das nicht so die Rolle spielt. Ich darf doch von anderen auch erwarten, dass sie sich zumindest mit so einer Option auseinandersetzen, oder?
Und all diejenigen, die einfach mal blau machen. Was wurde das ZDF für die Doku zu diesem Thema bei Mastodon beschimpft. Aber wo gibt’s denn sowas, dass es Menschen gibt, die trotz guter Jobs immer wieder so tun, als seien sie krank? Dass dem dann auch Arbeitgeber nachgehen, sollte verständlich sein. Das hat noch lange nichts mit „Merz ist doof“ zu tun und auch nichts mit „ein paar attraktiven Optionen“. Es ist einfach die Pflicht qua Arbeitsvertrag.
Es sind so die Kleinigkeiten: Nur bei jedem 3. Jobangebot eine Bewerbung schicken, Umschulungsangebote erst nach Ablauf der Frist annehmen, die Mittagspause statt 30 Minuten auf 1 Stunde ausdehnen, jeden zweiten Montag sich einfach mal krank melden, weil das Wochenende zu heftig war, Projekte unnütz lange ausdehnen, obwohl diese schon lang abgeschlossen sind. Das meine ich mit „Mehr arbeiten“. Da braucht es keine attraktiven Optionen.
Ich meinte tatsächlich Langzeitarbeitslose, die noch nie oder nur mal kurz einen Vollzeit-Job hatten. Wer bisher „immer gearbeitet“ hat, kann sich gar nicht vorstellen, welche Hürden und Ängste (!) der „Normalarbeit“ entgegenstehen können! Z.B. introvertierte Sozialphobiker, die sich einfach fürchten, vor den Chefs, vor möglichem Versagen, vor dem gemobbt werden, vor den Anforderungen an „Normalverhalten“, das sie noch nie drauf hatten – solche Menschen werden eher obdachlos als dass sie sich irgendwie zwingen ließen, es sei denn mit roher Gewalt (Arbeitslager).
Okay, dann passt ja ein anderer Kommentar von mir hier dazu. Die von dir beschriebenen Leute KÖNNEN nicht. Vielleicht WOLLEN sie aber. Wenn sie die Einschränkung irgendwie zeigen können, ist doch alles gut. Und so, wie das klingt, ist das doch was für Psychologen.
Ich denke, wir sind da gar nicht so weit auseinander.
nein, wenn (eigentlich: bevor) ich einen neuen Job anfange, dann möchte ich alle vertraglichen Bedingungen kennen, die dort gelten. Wenn andere eine Viertage-Woche anbieten, dann liegt es auch nahe, nachzufragen. So regelt der Markt das.
Nachtrag, eben war ich unterwegs: Tatsächlich hat Deutschland ja wegen und nicht trotz sozialer Fortschritte(!) wie dem Achtstundentag, „Samstags gehört Papi mir“, der 35-Stunden-Woche und weiterer Errungenschaften wirtschaftliche Erfolge gefeiert.
„ Aber wenn wir die Arbeitsmoral nicht steigern, kommt das Land nicht aus der Krise.“ — eine unbelegte Kausalität, die die Natur der Krise verkennt. Letztlich gilt: wenn die Obrigkeit will, dass wir mehr arbeiten, müssen wir weniger arbeiten. Untertanen, die diesem Sozialdarwinismus das Wort reden, muss widersprochen werden.