Ossis alle grundlos frustriert?

In Anlehnung an eine berühmte Titelseite des SPIEGELs beginne ich diesen Artikel mit „So sindse, die Ossis“: Immer nur nörgend und frustriert. Aber kann es womöglich sein, dass ein Bild den Bewohnern der fünf Bundesländer übergestülpt wurde, das so gar nicht zutrifft? Ihr fragt euch jetzt vielleicht: Von wem denn, wenn die Ossis ständig nur jammern? Aber hinterfragt auch nur eine Person, woher das kommt? Nicht, weil es den Menschen hier schlechter geht. Wartet mal ab, wie es dazu kam.

„Ihr Ossis seid zum Kotzen“

Das Zitat geht noch weiter. Aber damit beginnt es. Das habe ich während der Pandemie von einem damaligen Kollegen gehört. Unsere Abteilung ist eine der erfolgreichsten im Gesamtkonzern und hat seine Homebase hier in Leipzig. Er wiederum als Dauer-Nörgler hockte damals in Rheinland-Pfalz. Und das Zitat, das nun folgt, war der Beginn des Telefonats. Ja, genau, statt einer Begrüßung kam folgendes:

Ihr Ossis seid zum Kotzen. Eigentlich müsste man die Mauer wieder hochziehen und den Osten zuscheißen.

Egal, worum es ging bei seinem Dauerfrust, aber ganz ehrlich: Das muss ich mir doch nicht gefallen lassen, oder? Und dann liest du in den sozialen Netzwerken, dass „die Ossis“ allesamt „Nazis sind“. Nein, nicht von der gleichen Person. Dafür aber so oder so ungefähr immer und immer wieder. Ach ja, und ganz schlimm ist es, weil ich ja ein echter Sachse bin.

Wenn du sowas immer und immer wieder um die Ohren gehauen bekommst, dann fängst du an, all jene Bevölkerungsgruppen in einen Sack zu stecken, aus denen du sowas gehört hast. Vor der Wende waren es die Saarländer, aber seitdem sind es „die Ossis“. Das gab es im Osten auch: „Die Fischköppe“, „ARD – außer Raum Dresden“ und so weiter und so fort. Aber wie kommt es zu der Meinung über die Menschen in Ostdeutschland? Ja, Freunde aus dem Münsterland: Hier leben so genannte Menschen.

Wutbürger und Nazis – Wirklich?

Ich weiß nicht mehr, wie oft ich hier gesessen habe und – zum Teil wirklich laut – gedacht habe: „Das stimmt nicht, das ist nicht wahr“. Ich stamme aus Leipzig-Connewitz und habe da sehr gern gelebt. Und nein, bevor ihr diese Frage brabbelt: Ich habe nichts mit Molotow-Cocktails am Hut. Wie ist dieses Bild denn nur entstanden? Viel haben hier die Medien etwas beigetragen. So, wie sie zu dem allgemeinen Bild der Ossis in den Augen der Westdeutschen beigetragen haben, und das nicht zu knapp.

Niemand, wirklich niemand aus den „veralteten Bundesländern“ beschäftigt sich tatsächlich mit Ostdeutschland. So war das immer schon. Und dann und wann werden West-Journalisten in einer Art Blauhelm-Mission über dem Osten abgeworfen. Erst in den letzten Jahren gab es auch wirklich das eine oder andere feste Büro im Osten. Aber nicht mal die ostdeutschen Zeitungen sind in ostdeutscher Hand. Und so lässt sich wunderbar Stimmung produzieren. Die Ossis haben doch nichts entgegen zu setzen.

Ich werde sie euch nicht nacherzählen. Aber ich kann einer Reportage von „MDR Investigativ“ sehr viel abgewinnen. Ihr müsst sie euch dann aber schon selbst anschauen. Wer wirklich irgendeine Idee davon bekommen will, wieso die Beziehung der ostdeutschen Bevölkerung zu den Medien im Allgemeinen so schiefgehen konnte, kommt an dieser Reportage von Tino Böttcher nicht herum. Und damit bin ich dann nicht mal ein Systemling.

Es ist kompliziert … – Der Osten in den Medien — ARD-Mediathek

Es gibt nicht „den Ossi“

Wenn sich der Nazi Bernd – öhm – Björn Höcke hinstellt und irgendwas vom „deutschen Volkskörper“ schwadroniert, ist das ungefähr so etwas, wie wenn Springer-Chef Mathias Döpfner etwas davon faselt, wie „der Ossi“ so tickt. Es stimmt halt nicht. Es gibt ja auch nicht „den Wessi“, es gibt nicht mal „den Saarländer“. Deshalb ist auch der SPIEGEL-Titel „So isser, der Ossi“ mit dem berühmten Deutschland-Schlapphut einfach mal falsch und gelogen. Aber dieser Quatsch verkauft sich halt.

Wie kommt man denn nur auf diese selten blödsinnige Idee, alle Ossis als eher seltsame, diffuse Masse darzustellen? Wenn ich so höre, wie über andere Gruppen von Menschen erzählt wird, dann heißt es immer, dass es nicht DEN Nazi, DIE Trans-Person, DEN Muslimen, DEN US-Bürger, DEN Türken gibt. Aber bei Menschen in Ostdeutschland geht das, ja? Aus welchem Grund? Das ist es doch, was den Leuten hier so gewaltig auf die Nerven geht.

Aber wenn wir schon bei der Gleichmacherei sind, dann finde ich schon, dass bei ca. 17% Bevölkerung im Osten diese auch „in echt“ so repräsentiert werden müssen: 17% aller Vorstände aus dem Osten, 17% aller Sendungen im Fernsehen aus dem Osten, 17% aller Musiker aus dem Osten, 17% aller Fuballclubs in den ersten 2 Ligen aus dem Osten etc. Ihr merkt, dass das nicht so einfach geht. Also hört auf, alle Ossis in einen Topf zu werfen.

Wir sind nicht alles Nazis, wir jammern nicht alle, wir sind nicht alle – wie es auch oft hieß – stinkend faul. Hört auf mit diesem Unsinn. Mancher kann sich vielleicht an meinen Artikel hier im Blog erinnern, der „Welcome to the Jungle“ hieß. Liest eh keiner, da das zu unbequem wäre. Aber hier wäre der Artikel. Wer aus dem „gelobten Land“ der westlichen Bundesländer weiter Blödsinn über den Osten behauptet, ohne je hier gewesen zu sein, trägt dazu bei, dass die Spaltung und die Wut fortschreiten. Wollt ihr das?

3 Replies to “Ossis alle grundlos frustriert?”

  1. Schöner Artikel—für mich genau die richtige Mischung aus Empörung und Angebot! Die Reportage schaue ich mir an; das klingt sehr spannend. Nach dem ganzen „Säxit“-Gefasel zur Hochzeit der Geflüchtetenkrise hatte ich kurz den Eindruck, dieses Narrativ vom [beliebiges, negativ konnotiertes Adjektiv] Ossi ist durch. Sehr schade mit anzusehen, wie das im Zuge das drei Landtagswahlen wieder hervorbricht.
    Danke und lieben Gruß von einem Leipziger in Köln

  2. Eben, es gibt nicht den Ossi. Ich war bisher ein paar Mal im Osten des Landes und habe unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Die meisten waren positiv. Ich mag aber auch den Schlag Menschen im Osten. Die Menschen in Thüringen, Sachsen (Tschopau um es genau zu definieren) Sachsen-Anhalt waren alle sehr offen. Die „Ossis“ die ich im Sauerland kennengelernt habe (noch vor Grenzöffnung) hatten meine volle Bewunderung, da sie ja unter widrigen Umständen geflohen waren. (Meist über Prag, ein ehemaliger Bekannter wollte direkt über die Mauer :-)

    Jedenfalls waren das alles Menschen, die wussten was sie wollten – und im Gegenteil – nie jammerten. Aber klar, es gibt in Ost und West, Süd und Nord, solche und andere. Verallgemeinern jedenfalls würde ich das nie. (Außer bei den Bayern, aber das ist wieder was anderes ;-)

  3. Ich glaube auch nicht, dass alle Ossis grundlos frustriert sind, aber ich frage mich, wie man unabhängig davon AfD wählen kann. Das will mir einfach nicht in den Kopf. Natürlich gibt es Gründe, frustriert zu sein, aber die AfD zu wählen, ist schon ein starkes Stück. Es weiß doch mittlerweile jeder, wofür diese Partei steht.

    Das Wort „Ossi“ mag ich übrigens auch nicht.

    Lorenzo

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