Wartegesellschaft: Die Politik der Mutlosen

Deutschland ist eine Wartegesellschaft. Was immer in den letzten Jahren auf das Land zukam, die Politik hat erstmal gewartet, was passiert. Ich bin kein Journalist und auch kein Politiker. Und ich kenne mich mit Wirtschaftsthemen auch nicht aus. Aber ich habe das Gefühl, wenn die deutsche Politik bei dem einen oer anderen Thema beherzter zugepackt hätte, würde das Land nicht so dastehen, wie es gerade dasteht. Und mit „beherzter“ meine ich halt auch mehr Mut, Fehler zuzugeben.

Eine Republik als Wartegesellschaft

Ich weiß, dass ich mir keine Freunde mache. Aber der Klimawandel ist da. Wir müssen nicht mehr abwarten, ob er noch um die Ecke schaut. Ebenso sind die Kriege da. Auch hier müssen wir keine Auswirkungen mehr abwarten. Im Herbst 2021 wurde Europa vom CIA und US-Präsident Biden gewarnt, dass Russland die Ukraine angreifen könnte. In Berlin wartete man ab. So kann das doch nicht gehen. Man hätte direkt zu dem Zeitpunkt handeln müssen, wie es die Grünen verlangt hatten. Aber es sind halt „Diese Grünen“.

Die Flüchtlinge aus Syrien, aus der Ukraine, aber auch aus Teilen der Welt, die von den europäischen Kolonialmächten zu Grunde gewirtschaftet wurden, hätten sich so oder so auf den Weg gemacht. Dublin hin oder her. Man hätte sich etwas einfallen lassen können. So aber hat die deutsche Politik lieber abgewartet, bis die Flüchtlingsheime ausgebrannt waren. Man hätte ja klare Regeln schaffen können, so aber präsentierte man sich halt als Wartegesellschaft. Kann man machen, aber dann isses Kacke.

Die deutschen Staatslenker der letzten 20 Jahre waren und sind allesamt große Erklärer. Was konnte Angela Merkel physische Zusammenhänge erklären! Und Olaf Scholz mit seinen auf den Cent genauen Berechnungen, wenn er sich denn mal an etwas erinnerte. Friedrich Merz nun ist nicht anders. Klar ist er ein absoluter Fachmann in Sachen Weltwirtschaft. Alles abseits davon? Das wirkt dann eher mehr als dürftig. Und das Land wartet ja auch jemanden, die oder der nach vorn geht.

Es geht ja nicht darum, dass die Regierung anderen Ländern auf den Hof kackt und dann feixend beobachtet, wie es schön dampft. Das Ziel muss doch sein, das Land voran zu bringen. Gemäß der Frage „Wo sehen Sie sich in 5 Jahren“ aus jedem Vorstellungsgespräch. Als Regierung muss ich doch ein Ziel haben und kann nicht einfach nur drauflos wurzeln. Und mir scheint, als ob es dieses gar nicht gibt, sondern einfach nur kleinteiliges Bürokratentum abseits der Realität.

Es geht um was

Das Land ist zur Wartegesellschaft verkommen, weil man immer auf alles warten muss. Wann kommt der Umbau des Verkehrs? Wann die echte Klimastrategie? Oder die echte Steuerreform oder gar die Sozialreform? Die Bundespolitik lässt sich für die Mütterrente feiern, obwohl die Sozialsysteme das gar nicht hergeben. Das sollen die Arbeitslosen bezahlen, nicht etwa die Menschen mit Großvermögen. Leute, was soll das denn? Hatte man nicht von der letzten Patrone gesprochen?

Immer nur von drängenden Aufgaben zu sprechen, ohne diese wegen der allgegenwärtigen Kleinteiligkeit auch nur anzugehen, bringt halt ziemlich wenig. So wird das wohl nichts, die Rechtsradikalen in den Orkus der Geschichte zu verbannen. Wie oft hieß es „Wir haben verstanden“, nur um dann gleich wieder das nächste unsinnige Wolkenkuckucksheim vorzustellen? Das lassen sich die Menschen halt nicht mehr gefallen. Die sind nicht alle Nazis, wenn sie AFD wählen. Die wollen halt keinen Zirkus mehr.

Erst dieser Tage habe ich darüber geschrieben, dass wir gegen die Spaltung Brücken bauen müssen. Dazu muss man aber konkret sein. Die Menschen wollen reinen Wein eingeschenkt bekommen und weniger diese elende Phrasendrechselei. Wenn dann einer konkret wird wie Robert Habeck, bekommt er den Fluch der Berliner Wortdrechselei zu spüren und wird dann deshalb abgestraft. Also bleibt man lieber vage? Das kann nicht euer Ernst sein.

Die Politik wartet lieber ab, wie es weitergeht. Die Menschen warten lieber ab, was die Politik zu treibt. Und die AFD lacht sich eins und krakeelt dummes Zeug in der Weltgeschichte umher. So ist der Zustand unserer Wartegesellschaft. Die Welt ist nun aber mal dynamisch geworden. Mit so einem unbeweglichen Koloss wie Deutschland will doch niemand mehr zu tun haben. Dabei kann die deutsche Politik schnell, kooperativ, entschlossen und wirksam, als es um LNG als Ersatz für russisches Gas ging.

Wohin will das Land?

Ich bin mir nicht sicher, ob die Beobachtungen im Fediverse so richtig sind. Wollen die Menschen tatsächlich Lastenräder, Windräder und Work-Life-Balance mit Linux-Laptops? Vielleicht wollen viele Menschen einfach nur in Ruhe ihr Ding machen und irgendwie mal eine Weile ohne Krisen haben? Es ist die Aufgabe der Politik, genau das zu ermöglichen. Dafür müssen sie die Weichen stellen. Ein Kapitän muss doch auch sein Schiff durch alle möglichen Stürme durchbringen, das ist sein fucking Job.

Das Land hat sehr lang von fetten Jahren gezehrt. Und genau dann hätte man etwas unternehmen müssen. Nicht umsonst heißt es „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“. Ja, durch die Corona-Pandemie und durch die Gas-Krise kam Deutschland vergleichsweise gut durch. Nicht auszudenken, man hätte da auch so gezetert. Ich glaube, das Land will ein auskömmliches Leben, wo jeder mitmachen darf und muss, und Staatslenker, die wissen, wie man das umsetzt.

Niemand will schon wieder hören, dass die Politik schon wieder verstanden hat. Und im Übrigen nützen so viele Entscheidungen der letzten Zeit ohnehin nur der AFD, die man mit möglichst großem Getöse kleinhacken wollte. Lasst lieber neue Ideen zu. Dann kommen wir auch aus dem Zustand der Wartegesellschaft raus. Ich habe hier einen großartigen Artikel zu einem vermutlich großartigen Buch von Robin Alexander gelesen. Das brachte mich auf den Gedanken.

Einfach mal weitersagen

8 Gedanken zu „Wartegesellschaft: Die Politik der Mutlosen“

  1. Analyse weitestgehend korrekt…

    Das hier interpretiere ich mal als Sarkasmus:
    Klar ist er ein absoluter Fachmann in Sachen Weltwirtschaft.

    Und zu
    Ich bin mir nicht sicher, ob die Beobachtungen im Fediverse so richtig sind. Wollen die Menschen tatsächlich Lastenräder, Windräder und Work-Life-Balance mit Linux-Laptops? Vielleicht wollen viele Menschen einfach nur in Ruhe ihr Ding machen und irgendwie mal eine Weile ohne Krisen haben?

    Viele Dinge sind teil der Lösung – ob im Großen oder im Privaten. Klar wäre es Vielen lieber mit all dem nicht belästigt zu werden. Aber Ignorieren hilft ja nicht. Sonst wäre die Analyse im Text ja falsch, nicht?

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    • Danke für deinen Kommentar.

      Also was Merz betrifft, wird wahrscheinlich die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegen. Wäre er ein kompletter Versager, wäre er wohl nicht so weit bei Black Rock gekommen. Ist nur eine Idee.

      Nein, ignorieren bringt niemandem irgendwas. Das sehen wir im Osten tagtäglich, und es wird auch sichtbar durch jedes Wahlergebnis. Allerdings wird es wohl auch so sein, dass es eine ganz schön große Menge Menschen geben dürfte, denen diese Das-musst-du-haben-sonst-bist-du-doof-Attitüde auf die Nerven geht.

      Ja, es ist alles Teil der Lösung. Aber eben nicht für jeden und deshalb auch nicht als Allheilmittel.

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  2. Großartiker Artikel und sooo stimmig!
    Grade wieder: die „Debatte“ um die Stromsteuersenkung „für alle“. Weil es der Haushalt nicht hergibt, sollte die Senkung vernünftigerweise nur für Großindustrie und Landwirtschaft gelten – aber es wirkt ja so toll, wenn sich Politiker nun „für alle“ einsetzen – und dafür gerne weiter bei den Bürgergeld-Empfängern kürzen möchten. Dass da garnicht groß gekürzt werden kann, weil das Bundesverfassungsgericht ganz klare Grenzen gesetzt hat – was solls, Hauptsache, man formuliert das Vorhaben, ohne irgendwie konkret zu werden, in der Hoffnung, den Volkszorn gegen jene, „die nicht arbeiten wollen“ anzufachen und selbst gut dazustehen.
    Dass die Stromsteuersenkung für eine 4-köpfige Familie lediglich 90 Euro Ersparnis (im Jahr!) bringen würde – egal! Dass die durchschnittlichen Strompreise auf dem Niveau VOR dem Ukraine-Krieg liegen – egal! Man möchte doch soooo gerne als Kümmerer „für alle“ auffallen…

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  3. @Claudia,

    Dass die Stromsteuersenkung für eine 4-köpfige Familie lediglich 90 Euro Ersparnis (im Jahr!) bringen würde – egal! Dass die durchschnittlichen Strompreise auf dem Niveau VOR dem Ukraine-Krieg liegen – egal! Man möchte doch soooo gerne als Kümmerer „für alle“ auffallen…

    Darüber habe ich auch nachgedacht. Der ganze Stress für 50-100 EUR im Jahr. Gäbe es da nicht andere Werte bzw. Ausgaben (Inflation), die wirklich reinhauen. Bin gespannt, wie es beim Bürgergeld weitergeht und welche Ideen die Politik entwickelt, Steuerbetrüger dingfest zu machen und sich dabei in Abwägung mit dem angeblich ja so furchtbaren Missbrauch von Sozialleistungen zu verhalten.

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    • Inflation ist kein Problem! Unser Geldsystem wurde irgendwann 14hundert und ein paar Zerquetschte in Italien eingeführt. Und dieses System in dem Banken neues Geld durch schreiben in ein Buch „erschaffen“, dieses System funktioniert nur mit positiver Inflation. Ideal wohl bei ~2%. Ohne Inflation oder mit zu hoher wird es instabil.

      Und Inflation bedeutet: Jemand muss Schulden machen! D.h. würde niemand Schulden machen kollabiert das System.

      Außerdem können nur 3 Entitäten Schulden machen: der Staat, die Wirtschaft, der Bürger.

      der Bürger leidet hierzulande an Löhnen unterhalb der Produktivität (siehe Armuts- und Reichtums Bericht), dazu steigende Kosten wie Mieten die einen immer höheren %satz des Einkommens beanspruchen. –> der Bürger KANN keine Schulden machen, da er kein Geld hat (Gesamtwirtschaftlich gesehen)

      die Wirtschaft macht seit ~1970 keine Schulden mehr. Warum? Weniger Schulden = mehr Geld für die Eigentümer.

      Es bleibt also der Staat übrig. Auch wenn die Politik immer wieder sagt: wenn wir der Wirtschaft = den Eigentümern nur genug Geld schenken, dann investieren die. So lange die es aber nicht tun MUSS der Staat sich verschulden, weil wir wissen ja: ohne Schulden keine Inflation, ohne Inflation ist das Geldsystem nicht stabil. Das war auch das was unser Wirtschaftsprof uns am Tag 1 der Vorlesung gesagt hat. Und immer wenn Volkswirtschaftler in TV oder Radio sind sagt die Mehrheit dieser genau das Gleiche.

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  • 💬 DigitalNaiv = Stefan Pfeiffer

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