Touristen-Highlights gibt es in Leipzig viele. Aber das sind so Ecken, die man nicht unbedingt sucht, wenn man für sich sein will und einfach mal drauflos laufen will. In einem solchen Fall sucht man doch das Ursprüngliche, das Unschöne. Also zumindest geht mir das so.
Als Mensch, der im Leipziger Stadtteil Connewitz aufgewachsen ist, hat man durchaus solche Ecken. Eine davon nennt sich „Der Apitzsch“. Das ist ein Revierforst – oder das Waldgebiet war mal einer. Keine auf Hochglanz getrimmten Wiesen, keine begradigten Bäume. Einfach Grünzeug. Das war „unser“ Abenteuerland, als wir Kids waren. Und dort war ich in meinem Urlaub.
Ich habe meinen Trip durch den Apitzsch an der so genannten „Pferdeschwemme“ begonnen. Ich habe keine Ahnung, ob das ein offizieller Name ist. Mir ist aber kein anderer Begriff dafür bekannt. Im Connewitzer Villenviertel an der Prinz-Eugen-Straße zweigt eine kleine Sackgasse ab und führt direkt dahin, die Apitzschgasse. Hinter einer kleinen Brücke öffnet sich Natur, die man im Pflegewahn nicht unbedingt erwartet. Es muss nicht immer alles wunderschön sein. Ursprünglich geht auch. Oder was meinen Sie?
Nein, der Pleißemühlgraben ist kein schönes Gewässer. Jahrzehntelang war das Wasser chemisch kontaminiert. Das Gewässer wurde benutzt, um sich von Sperrmüll zu befreien. In mühevoller Arbeit, nachdem die Wasserzufuhr aus der bekannten Pleiße unterbrochen wurde, wurde das Gerümpel entsorgt und das Flüsschen rekultiviert. Jetzt gehört er zu den geschützten Gewässern, der nicht einmal befahren werden darf, wenn man denn könnte, weil an seinen Ufern zahlreiche Tiere ihr Heim haben.
Direkt nach der Brücke gabelt sich der Weg: Ein verwitterter Teil führt zum ehemaligen „Eiskeller“, dem heutigen „Conne Island“. Der linke Teil aber führt den Radfahrer oder Fußgänger tief in den Apitzsch.
Als wir Kinder waren, war die Pferdeschwemme ein locker mit Bäumen bewachsenes Wiesen-und-Sträucher-Gebiet. Der Legende zufolge sollen hier die Pferde der Gutsherren aus dem nahen Lindenhof geweidet haben. Ob das stimmt, kann ich nicht sagen. So habe ich es jedenfalls erfahren. Wir fuhren dort immer wie die Verrückten mit den Fahrrädern durch die Gegend.
Die Pferdeschwemme war das Gebiet, das uns zu Halbstarken machte. Die erste Zigarette, die man unter Würgen und Husten absolvierte. Die Mutproben, die einen angeblich zum Mann machten. Die Debatten über die „doofen Mädchen“. Solche Ecken hat wohl jeder in seiner Kindheit gehabt, oder? Nun ist das Gebiet nahezu vollständig zugewachsen. Es lädt aber ein, um die Natur abseits von Landschaftsparks zu erkunden.
Inmitten der Pferdeschwemme befindet sich dann eine Erhöhung, bei der man sich denkt, dass sie nicht dahin gehört. Sie ist auch nicht natürlichen Ursprungs. Es sieht so aus, als wäre das Ganze ein verwitterter Deich. Aber welches Gewässer wollte man abhalten? Nein, es soll sich um eine so genannte „Kanonenbahn“ handeln, die zu Kriegszeiten dazu verwendet wurde, um Kriegsgerät beiseite zu schaffen. Heute ist das Alles dicht bewachsen und wird als Radweg benutzt.
Man kommt dann allmählich der Bundesstraße B2 nahe, deren Abfahrt „Connewitz“ mit dem bekannten Leipziger Löwen die Pferdeschwemme enden lässt. Ein schmaler Durchgang, in dem immer schon Wandmalereien und Graffiti zu sehen waren, führt mich dann in den südlichen Leipziger Auwald mit seiner atemberaubenden Vielfalt. Ich bin zunächst in Richtung Süden marschiert.
Auf meinem Weg nach Süden fiel mir das ehemalige „Waldbad Connewitz“ ein. Irgendwo dort im Wald müssten doch noch die Überreste sein. Das war früher ein typisches Freibad mit einem großen gemauerten Becken. Eintritt kostete eine DDR-Mark, die Bockwurst 85 Pfennige. Es gab eine große Sprungmauer, große Liegewiesen und Umkleide-Kabinen. Es musste irgendwo zwischen Pleiße und B2 liegen.
Aber so sehr ich auch die Augen aufhielt, ich fand es nicht. Nach der Wende wurde es kurzzeitig als Autohaus zweckentfremdet. Tja, und irgendwann war es eben weg. Stattdessen zeigten sich die monströsen Bäume des Auwaldes.
Ich ging den so genannten Pleißeradweg entlang. Das ist eine Radwanderstrecke entlang der Pleiße, die südlich von Zwickau am so genannten Drei-Linden-Brunnen in Lichtentanne entspringt. Der Name bedeutet „das Gewässer, das Sümpfe bildet“. Und das stimmt auch. Deshalb sieht die Pleiße auch immer sandig aus. Und die Pleiße überquert man über diese Brücke.
Weiter südlich – schon fast in der Kleinstadt Markkleeberg gelegen – befindet sich dann die große Brücke der Zugstrecke nach Borna und Altenburg. An dieser Stelle präsentiert sich die alte Pleiße recht gefährlich. Ich glaube man nennt so etwas Stromschnellen, was die Pleiße dort zeigt.
Die Pleiße hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Wie alle Flüsse der Region wurde auch sie wegen der Braunkohle den Gegebenheiten angepasst. Sie wurde umgebaut, der Flusslauf begradigt und so weiter. Lange Zeit leitete das Chemiewerk in Böhlen sein Abwasser in den Fluss. Aber davon ist nichts mehr zu sehen. Man hat die Flusslandschaft regenerieren lassen.
Da man aber etwas dagegen hatte, dass sich das Hochwasser der südsächsischen Regionen unkontrolliert im Auwald und in Markkleeberg und Leipzig ausbreiten konnte, hat man gewaltig etwas für den Hochwasserschutz getan. Da nun schon einmal die Pleiße begradigt wurde, hat man eben die Böschungen als Hochwasser-Schutzgebiet umfunktioniert. Angler erfreuen sich dieser Tatsache.
Aber das Gebiet besteht ja nicht nur aus Wald und Wasser. Wenn man sich umsieht, stößt man auf noch viel mehr. Irgendwo findet man immer eine Wiese. Ob das alles natürlich gewachsen ist, kann ich nicht einwandfrei sagen. Es sieht aber so aus. Und das findet man alles entlang des Pleißeradwegs.
Aber ich ging ja dann wieder zurück in den Wald. Ich wollte ja noch ein bisschen mehr von dem Waldstück namens Apitzsch sehen. Und also setzte ich meinen Weg zur Abwechslung in Richtung Norden fort. In Höhe der vorhin gezeigten Brücke begann mein Weg, den ich immer mit meiner Tochter absolvierte, als sie noch im Kinderwagen lag.
Es ging entlang der Pleiße weiter in den Wald hinein. Das bestimmende Element ist freilich der Fluss. Aber auch die Bäume, Sträucher und all das. Und plötzlich fiel mir ein, dass ich jahrelang einen Lieblingsplatz mitten im Wald hatte. Zu dem wollte ich hin.
Auf meinem Weg dahin kam ich an einem bewirtschafteten Bootshaus vorbei, und mitten im Wald fand ich auch einen Pferdehof. Hier und da kam ein Paddler des Weges. Diese Ecke des Auwaldes nutzen die Wasserliebhaber für Aktivitäten auf dem Wasser. Die Umgebung sieht bewusst etwas unaufgeräumt aus. Aber das ist nun einmal der Charakter des Gebietes. Normal kann ja jeder.
Da ja in nicht-bewirtschafteten Waldgebieten auch mal Bäume absterben, hat man sich sicherlich gedacht, dass man die Baumreste hier auch liegen lassen kann. Und ich muss sagen, dass so etwas dem ganzen Gebiet gut tut. Solche Baumruinen wie die gerade gezeigte findet man im Auwald immer wieder. Die Reste bieten ja immernoch Nährstoffe und dienen als Einzugsgebiete für Insekten. Es gehört also alles zur Natur dazu.
Woanders hat man einfach mal die Bäume wachsen lassen. Was will man denn auch immer wieder eingreifen. Und so entstand im Laufe der Zeit eine gewaltige Waldlandschaft, die irgendwie an „Ein Land vor unserer Zeit“ erinnert.
Und die ganze Zeit begleitet mich die Pleiße. Jogger kommen daher, Leute mit ihren Hunden laufen herum. Aber der gerade gezeigte Weg ist nicht weiter überlaufen. Er gehört nicht zu dem Hauptwege-Netz. Als ich dort mit dem Kinderwagen vor Jahren entlang wollte, war der immer wieder ein einziger Morast, weshalb ich den immer ausgelassen habe.
Die Pleiße plätschert leise hinter den Bäumen entlang. Und auf ihr sieht man zwischen den Bäumen immer wieder Paddler und Ruderboote. Ich kam auf einer kleinen Lichtung an und war fast am Ziel: Mein Lieblingsplatz.
Ich fand den Weg dahin kaum noch. Klar, es ist ja alles verwachsen. So lang das alles gesund wächst, ist das auch völlig in Ordnung. Und also musste ich mich durch Zweige, Sträucher und Gestrüpp durchkämpfen. Und dann war ich da:
Ich kann Ihnen nicht so genau sagen, warum ausgerechnet diese unwirtliche Landzunge mein Lieblingsplatz ist. Am Zusammenfluss der Pleiße mit seinem Nebenarm, dem Pleißemühlgraben, habe ich mich immer wohl gefühlt. Gegenüber ist eine Brücke. Und beim Plätschern des Wassers war mir immer die restliche Welt egal.
Wenn ich mir früher über irgendwas – und sei es so etwas großes wie der Sinn des Lebens – klar werden wollte, habe ich diesen Platz aufgesucht. Ich habe diese Ecke eher zufällig entdeckt, als ich mal als Teenager eine Fahrradtour quer durch den Auwald gemacht habe. Ich fand das so außergewöhnlich dort, ich bin immer wieder gekommen. Und dabei ist es geblieben.
Nach einer ganzen Weile habe ich mich dann auf den Rückweg gemacht. Es wurde auch kühl an diesem Freitag. Zusammenfassend kann man sagen, dass der Apitzsch mit der Pleiße und der Pferdeschwemme nichts für die ist, die eine geordnete Landschaft wie aus dem Touristenführer erwarten. Das Gebiet ist etwas für Abenteurer und solche, die abseits des Mainstreams unterwegs sind. Und da zähle ich mich dazu.
Das Tummelgebiet aus meiner Kindheit und meiner Jugend ist immer wieder gut, mal aus dem Alltag zu fliehen. Natürlich wird das alles bewirtschaftet. Aber nicht so, wie man gepflegte Parks und Grünanlagen bewirtschaftet. Man merkt nicht, dass man überhaupt in der Zivilisation ist. Und das klinkt einen aus dem Alltag völlig aus. Und deshalb ist der Apitzsch auch so gut.
Waldbad ?
Hallo Herr Uhle,
auch ich bin in dieser Gegend aufgewachsen und habe gerade nach dem Waldbad Connewitz gesucht.
Das letzte sichere Indiz scheint mir die kleine Brücke über den Pleißemühlgraben zu sein, die Sie hier auch abgebildet haben. Ich fahre da öfters noch mit dem Rad lang und habe auch schon mal das Unterholz untersucht. Es scheint so, dass das Bad vollständig abgetragen wurde.
Diese kleine Brücke lag innerhalb des Bades und hat die große Liegewiese, westlich vom Mühlgraben mit dem eigentlichen Bad östlich vom Mühlgraben verbunden. Wenn Sie die Brücke von West nach Ost überqueren war recht die Beckenanlage und links eine kleinere Liegewiese mit Umkleideanlagen und gerade zu das Hauptgebäude, dass fast parallel zur jetzigen B2 gestanden haben sollte.
Auf den Luftbildern von google-earth, Stand 2000 sieht man noch die begrünte Freifläche, die jetzt schon zugewachsen ist.
Danke für Ihren Artikel …
Viele Grüße Kay Rößler
Hallo, die“Kanonenbahn war eine Verbindung vom Bahnhof Connewitz nach Plagwitz. Sie diente in erster Linie dem Güterverkehr und wurde um 1925 stillgelegt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Bahnstrecke_Leipzig-Connewitz–Plagwitz
Hallo Wolfgang, das ist mir später auch aufgefallen. Im Januar 2019 schrieb ich diesen Artikel über genau diese Verbindungsbahn.