Aufmerksamkeit für Blogs

Na, wie groß ist eure Aufmerksamkeit? Wie lang könnt ihr euch auf irgendeine Sache konzentrieren? Bei Blogs ist das nämlich so eine Sache. Sobald es über einen kurzen Rülps hinaus geht, sinkt die Fähigkeit des entwickelten Menschen, irgendeiner Sache konzentriert zu folgen. Das geht euch so, das geht mir so. Wir sind einfach nicht mehr dazu in der Lage, irgendeinem Sachverhalt zu folgen. Und damit haben Blogs im Allgemeinen ein riesiges Problem.

Darf ich um eure Aufmerksamkeit bitten?

„Leute, für mich ist es auch die sechste Stunde“ – Kennt ihr das? Ab einem gewissen Zeitpunkt ist es nicht mehr möglich, irgendwas zu folgen. Was meint ihr, warum die durchschnittliche Länge von Musik im Radio von den Sechzigern an bis in die Neunziger immer wieder gestiegen ist und wir mittlerweile wieder ein Niveau wie in den Sechzigern haben? Kaum ein Stück, was in irgendwelchen Charts weit vorn ist, ist länger als drei Minuten. Länger hält kein Mensch mehr durch.

So ist das auch bei Blogs. Wer ist denn bitte so verrückt und liest sich einen tausend-Worte-Artikel durch und weiß am Ende noch, worum es am Anfang ging? Ich bin ja ehrlich, bei mir ist das nicht anders. Wenn ich mir überlege, dass es noch nicht so lange her ist, dass irgendwelche Suchmaschinenoptimierungshanseln einen davon erzählt hatten, dass man möglichst lange Artikel fabrizieren soll, frage ich mich tatsächlich: Wie weltfremd darf’s denn sein?

Nein, die Zeitspanne, wie lang man für eine Sache Aufmerksamkeit aufbringen kann, ist kürzer geworden. Deshalb boomen ja auch in den sozialen Netzwerken die Storys, die Reels, die sonstwas. Deshalb ist ja auch TikTok so ein großer Erfolg. Irgendwas in einer Minute raus rotzen, tolle Wurst. Wie groß also, denkt ihr selbst, ist eure Aufmerksamkeit? Und seid ehrlich zu euch. Ich bin es ja auch.

Das Dilemma der Blogs

Ich hatte Anfang Januar diesen Jahres diesen Artikel. Das war schön. Kurz und knapp habe ich euch ein paar Worte hingeworfen. In aller Kürze habe ich davon erzählt, dass ich mich nicht mehr von einem Plugin herumschubsen lassen will, was die Textlänge betrifft. Denn es ist echt auch schwierig für Blogger, einen Artikel „voll zu bekommen“. Und ich habe mich daran erinnert, dass ich doch selbst keine ewig langen Artikel mehr lese. Ich kann die Aufmerksamkeit oft nicht aufbringen.

Euch geht das sicher ähnlich. Der hoch entwickelte Mensch wird allmählich zum Goldfisch. Traditionelle Webseiten und Blogs werden es in naher Zukunft noch schwerer haben, da die Aufmerksamkeit noch weiter absinken wird. Das ist ein echtes Dilemma, da mit dieser Goldfisch-Mentalität eben auch den Lügen und Falschmeldungen der Weg immer weiter geebnet wird. Und deshalb kommen meiner Meinung nach Blogs nur auf einem Weg aus dieser Zwickmühle raus.

Vielleicht müssen sich alle mehr an visuellen Inhalten orientieren und damit Lust darauf machen, dass sich Leser bewusst Zeit nehmen, um längere Inhalte wie Blogartikel zu konsumieren. Wenn sich Leser dafür entscheiden, ihre ungeteilte Aufmerksamkeit diesem einen Artikel zu widmen, hat man viel erreicht. Denn am Ende ist es eben auch so: Niemand hat auf deinen Artikel gewartet. Woher soll dann also die Aufmerksamkeit kommen? Schwieriges Thema, und was denkt ihr darüber?

13 Replies to “Aufmerksamkeit für Blogs”

  1. Es liegt, denke ich, weniger an der Unfähigkeit längerer Aufmerksamkeit, sondern an der Fülle von Informationen. Das fängt morgens im Büro mit Sichtung der zahlreichen E-Mails an und endet abends mit den Nachrichten. Da wir selbst bei den öffentlich Rechtlichen inzwischen Tendenzen zu einseitiger Berichterstattung beobachten können, ist der gerne informierte Bürger gezwungen, mehrere Artikel zu einem Thema zu sichten. Das alles geht nur noch mit querlesen. Und ja, ich merke auch, ungeduldig zu werden, wenn ich bei einem langen Text trotz Querlesens nicht zu aufschlussreichen Infos komme.

    Um die eigentliche, aber notwendige Unsitte des Querlesens ein wenig zu dämpfen tut es in der Regel übrigens ein dickes Buch – kein Fach- oder Sachbuch – sondern einfach ein spannendes Buch a la Stephen King. Das hilft meist, um eine zeitlang wieder die „normale“ Aufmerksamkeit zurück zu gewinnen.

    1. Hallo Peter,

      da ist unbedingt auch was dran. Und natürlich, wir sollten alle wieder mehr lesen. Und ich meine damit auch ein Buch, das hilft tatsächlich dabei, einmal den Kopf auf Reset zu stellen.

      Danke für den Kommentar.

  2. Ich glaube ja, dass es in Zukunft noch ein bisschen schlimmer wird. Ich selbst kann bestätigen, dass es einen Zusammenhang zwischen Textlänge und Interaktion von Lesern gibt, nicht nur in Blogs, sondern vor allem auch in der Diaspora*, wo man ja auch ohne Längenbegrenzung schreibt. Je länger der Text, desto weniger scheint er gelesen zu werden. Was läuft, sind kurze, knackige, gern auch mal polemische Texte, Fotos und Memes. (Gut, in meiner Diaspora-Blase auch viel Bildbearbeitung mit ästhetischem Anspruch, aber das ist meine Blase.)

    Auf der anderen Seite bekomme ich am Rande mit, dass immer mehr Menschen Texte mit angelernten neuronalen Netzwerken – von Journalisten, Politikern und anderen Ahnungslosen meist mit dem Reklamewort »Künstliche Intelligenz« bezeichnet – generieren lassen. Und eines ist allen diesen Texten gemeinsam: Sie sind sehr weitschweifig, sehr informationsarm, formal recht gut gebaut und öfter mal falsch. Inzwischen sehe ich so etwas auch immer häufiger in journalistischen Medien, auch in solchen mit Qualitätsanspruch. Damit wird allen Menschen unterschwellig etwas intellektuell ziemlich Verheerendes beigebracht: Je länger und besser strukturiert ein Text ist, desto Zeitverschwendung beim Lesen.

    Ich weiß ja nicht, wie es anderen Menschen geht, aber ich habe zumindest das Meiste, was ich heute verstehe und kann, durch Lesen gut strukturierten Textes gelernt, nicht durch Memes und nicht durch Videos.

    1. Ja, diese gut strukturierten Texte fehlen tatsächlich. Ich glaube, auch hier im Blog kommen die zu kurz. Aber wenigstens sind die Texte hier meine und keine von irgendeinem KI-Blödsinn, der für die größte Schöpfung der Menschheit hält.

      Dass diese KI-Anreicherung viel Mist produziert, stelle ich tagtäglich in meinem „richtigen Job“ fest, wenn wir irgendwas glatt bügeln müssen, was irgendwer aus irgendeinem KI-Bullshit entnommen hat.

      Meinst du wirklich, man soll mehr polemisieren? Oooch, ich glaube, das würde ich hinbekommen. Aber ob das so mein Ding ist, wage ich doch zu bezweifeln.

  3. Nicht ohne Grund ist unsere Aufmerksamkeit von Werbetreibenden so heiß begehrt. Sie ist bares Geld wert und viel zu selten machen wir uns bewusst, wem wir sie schenken. Das zeigt sich traurigerweise auch, wenn man sich anschaut, wie wenig wir uns noch auf unsere Gesprächspartner konzentrieren können und wie schnell wir uns von einem Rülpser des Smartphones ablenken lassen.
    Ich lasse mich beim Schreiben nicht von irgendwelchen Längenvorgaben drangsalieren, wahrscheinlich sind meine Texte daher viel zu lang. Andererseits bin ich schon zu erprobt im Queerlesen, was auch nicht gerade für eine große Aufmerksamkeitsspanne meinerseits spricht. Ein guter Text oder ein gutes Buch kann aber immer noch meine vollste Konzentration gewinnen – also sind Hopfen und Malz noch nicht verloren 😄

    1. „Guck mal, ein Vögelchen“ – Kennst du das? Unfassbar oft stellt man fest, dass das Gegenüber fix vom eigentlichen Gespräch abgelenkt ist.

      Ansonsten siehst du das vermutlich vergleichbar wie der Peter hier in den Kommentaren.

  4. Das hängt doch nicht von der Länge des Textes ab so enden von dem, was mitgeteilt wird.
    Wenn man mit Gewäsch und fülltest künstlich auf der Seite gehalten werden soll – „sieh Dir an was dann geschah…“ oder in der Art, dann ist es doch besser sofort aufzuhören. Wer was zu sagen hat, der soll es tun. Aber er muss dann auch fix auf den Punkt kommen. Wenn es keinen „Punkt“ gibt, kann er es auch lassen. Wenn man nur der Buchstaben oder Worte wegen lesen soll, dann müssen diese aber eine ganz hohe Qualität haben – so wie bei „Fischers Nachtgesang“ von Ringelnatz.
    Wie stand für an den Telefonzellen? „Fasse dich kurz!“. Das mache ich jetzt! Gruß Klaus

    1. Hallo Klaus,

      wunderbar auf den Punkt gebracht, Ich denke auch, es kommt hauptsächlich auf den Inhalt an. Im Blog erzähle ich immer wieder davon: Wenn ein Thema auserzählt ist, ist der Artikel fertig. Das muss nicht erst nach 1000 Worten sein, das geht auch deutlich kürzer.

      Um in deiner Analogie zu bleiben, bringe ich noch Tucholskys „Rechts und links“ mit ein. Das ist dann ja auch ein gutes Beispiel dafür.

  5. Die Sache mit der schwindenden Aufmerksamkeit wird gefühlt genauso lange debattiert, wie der vermeintliche Tod der Blogs.

    Und genauso lange starten Blogger ganz neu, entstehend jeden Tag neue, laaange Beiträge.

    Aus meiner Sicht wird das auch in den kommenden Jahren so weitergehen:

    Es gibt den Snack-Content, den wir innerhalb von Sekunden verschlingen. Und es gibt die Langform-Formate, für die wir uns ein paar Minuten Zeit nehmen. Beides hat eine Berechtigung. Ich konsumiere beides. Je nach Stimmung, je nach Umgebung, je nach verfügbarer Zeit.

    Schreib also weiter, solange du Bock darauf hast. Egal, wie oft. Egal, wie lang.
    Es wird immer Menschen geben, die deine Beiträge lesen.

    Herzliche Grüße
    Eddy

  6. Meine eigenen Texte im Blog werden immer ziemlich genau so lange, wie sie brauchen, bis sie fertig sind. Ich habe einen, den ich auf zwei Seiten paginiert habe, damit er nicht so lange scrollt. Geht um die Idee öffentlicher sozialer Netzwerke.

    Lesen tue ich Blogartikel, wenn sie mich interessieren, und dabei spielt die Länge erstmal keine Rolle. Wenn ein guter Sachartikel inhaltlich angemessen lang ist und mich wirklich interessiert, dann darf er gerne 25 DIN-A4 Seiten lang sein.

    Meine mögliche Aufmerksamkeitsspanne schafft auch problemlos Gustav Mahlers 3. Symphonie am Stück. Ich brauche nur die Ruhe dafür und die zugehörige Zeit frei.

    1. Ja, die Ruhe und die Zeit: zwei Dinge, die wir heutzutage nicht mehr so im Überfluss haben. Wie ich bereits kommentiert habe: Ein Artikel ist dann fertig, wenn alles zum Thema gesagt wurde. Ob es 100 oder 10000 Worte sind.

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