Es gibt Alben, die einfach mal Meilensteine sind. So auch dieses phänomenale Album von Roxette. Es gilt als das erfolgreichste der beiden. Niemand hätte rund um 1990 herum darauf wetten wollen, dass „Look Sharp!“ noch übertroffen werden könnte. Aber Marie Frederiksen und Per Gessle haben dieses Kunststück hinbekommen. Die „Spritztour“ ist eine Stunde lang und wird eigentlich zu keiner Sekunde langweilig. Glasklarer Pop schwedischer Art wird gepaart mit Rock, Themen rund um Zweisamkeit und mit eingängigen Melodien serviert.
Come on, join the joyride, everybody! (Aus „Joyride)
„Hallo, du Idiot, ich liebe dich“ – So beginnt das legendäre „Joyride“ – Titelstück, Hymne, Mitgröler. Das Lied dreht sich einfach darum, dass es nichts schaden kann, sich mit ihm einzulassen, obwohl er nichts besonderes bieten kann. Und sie erklärt ihm zum Idioten, weil sie mit ihm wegen ihm zusammen sein will. Sie sind magische Freunde.
Richtigen Rock’n’Roll bietet dann Marie mit „Hotblooded„. Sie ist halt heißblütig, was man ihr bis zu ihrer schweren Krankheit auch abgenommen hatte. Diesen Knaller finde ich noch besser als das Titelstück. Ich glaube, das Lied ist eins der rockigsten in der Geschichte der Band. Nie war mehr Drive in einem Lied der schwedischen Legende.
Das beste Lied des Albums ist aber „Fading like a flower„. Auf den Spuren von ABBA behandeln Roxette das traurige Thema der bevorstehenden Trennung. Sie verwelkt wie eine Blume, jedes Mal, wenn er den Raum verlässt. Sie bricht regelmäßig im Traum zusammen. Wunderbar musikalisch umgesetzt, kommt diese Rockballade sehr gefällig daher mit einer sagenhaften Musik-Bridge in der Mitte diesen Wahnsinnsliedes. Ich kann mich an kein besseres Roxette-Stück erinnern.
Wunderbar groovig geht es dann mit „Knockin‘ on Every Door“ weiter. Hier haben wir es mit einer sehr treibenden Kreuzung aus Rock, Soul und fast noch Rap zu tun. Wir hören hier mit tiefer Stimme nebenbei den Produzenten Staffan Oeverman. Sie kann ihm nichts vormachen, er wird sie schon finden, auch wenn er an jede Tür klopfen muss.
Es folgt die zauberhaft melancholische Ballade „Spending my time„. Es wird wieder die Trennung besungen. Aber diese Trennung ist bereits vollzogen, nachdem alles bei „Fading like a flower“ noch auf der Kippe stand. Sie möchte nicht, dass sie so gesehen wird. Sie hofft, dass die Tage vorbei gehen. Aber irgendwann geht es wieder aufwärts. Das wird prächtig melodiös untermalt, sodass alles sehr passend zueinander kommt.
Wir sind dann musikalisch im breiten Rock der USA angelangt. Man stellt sich fette Lederklamotten und Harleys vor, wenn man „I remember you“ hört. Sie ist auf den Glanz in seinen Augen hereingefallen. Diese Erkenntnis trifft sie ins Mark, wenn sie sich an ihn erinnert. Das ist, als ob es gestern erst war. Eine sehr starke Nummer, wie ich finde.
Eine schöne melancholische Ballade folgt mit „Watercolours in the rain„. Begleitet von einem Konzertgitarren-Teppich, wandert sie durch ihre Emotionen und schwelgt in Erinnerungen. Es scheint, als ob sie wie Wasserfarben im Regen zerlaufen ist. Sie sucht einen Platz, wo sie sich niederlassen kann, um alles hinter sich zu lassen. Das Lied wird allgemein als sehr schwach eingeschätzt. Ich finde es aber sehr passend auf dem Album, und das Album wäre um einiges schwächer ohne dieses Kleinod.
Die in meinen Ohren schwächste Single des Albums ist der Heuler „The big L.„. Es geht das Gerücht, als hätte Per Gessle dieses Lied für seine Frau geschrieben. Es ist so ziemlich das optimistischste Lied auf dem Album und lädt zum Tanzen und Mitsingen ein. Es ist kein schlechtes Lied, aber andere sind besser.
Und dann marschieren Roxette im Stile von den Rolling Stones in Kreuzung mit Diana Ross daher. „Soul deep“ kommt wie ein Gewitter daher. Es geht darum, dass er sie atemlos macht. Und genau so hämmern Gitarren und Schlagzeug auf einen ein. Er ist wieder zurück, und sie spricht Gebete, dass er nie wieder gehen möge. Na, wenn das kein Grund zum Feiern ist.
Die nächste Ballade schließt sich mit „(Do you get) Excited?“ an. Macht es dich an, wenn ich dich in der Nacht berühre? Was sehr sanft beginnt, geht dann in eine Art Power-Ballade über. Natürlich, es muss ja mal um Sex gehen, wenn man die ganzen Liebesthemen betrachtet, oder? Es ist eine sehr vielseitige Nummer, die ich gar nicht schlecht finde. Aber Kritiker rümpften angeblich die Nase ob der Unentschlossenheit der Nummer.
Dann sind wir mit „Church of your heart“ wieder in der Melancholie angekommen. Er trifft seine Jugendliebe wieder und stellt fest, dass sie seine große Liebe ist. Sie war es immer, von Anfang an. Hier haben wir ein Parade-Beispiel, wie ABBA-in-Rock funktionieren kann. Ich finde, das ist eine der gelungensten Nummern des Albums.
Sehr interessant finde ich „Small talk„. Wunderbare Melodien mit nervösem Schlagzeug, dazu die typische Roxette-Hookline seit „Look Sharp!“. Es gibt auf dem Album nichts typischeres für Roxette als dieses Lied. Es ist kein überragendes Lied, aber sehr nett anzuhören. Es ist an sich genauso unentschlossen wie „(Do you get) Excited?“, aber mit entschieden höherem Mitsing-Faktor.
Es folgt das treibende „Physical fascination„, das irgendwie an Prince erinnert. Funk mit Rock zu vermählen – auf so eine Idee kommt niemand so schnell. Per Gessle ist das hier prächtig gelungen. Ich würde das Lied an sich auch als schwachen Teil des Albums ansehen. Aber es ist ein sehr erfrischendes Element.
Ein riesengroßes Highlight am Ende des Album ist „Things will never be the same„, kraftvoll, erbarmungslos, melancholisch. Das Lied kommt direkt nach „Fading like a flower“ als Knaller. Er sieht unschuldig aus, aber verletzt sie wieder und wieder. Das akzeptiert sie nicht mehr. Und deshalb werden sich alle Dinge ändern. Thematisch gelagert wie das traurige „Fading like a flower“, kommt es mit einer sagenhaften Gitarren-Bridge in der Mitte daher. Ein Wahnsinnslied, wie Sie sicherlich bestätigen können.
Abgeschlossen wird dieses famose Album mit „Perfect day„. Es gibt kein Entkommen für die mit den gebrochenen Herzen. Es gibt keine Rückkehr, wenn du deinen Weg verloren hast. Sie spricht ein Gebet, nun da er weg ist, dass er eines Tages zurück kommt. Die herrlich melancholische Nummer gibt einen runden Abschluss für ein denkwürdiges Album.
Es gab – glaube ich – selten ein Album, das ich derart loben konnte, wie ich es mit „Joyride“ tat. Aber das Album ist auch zur passenden Zeit gekommen. Die Themen Liebe, Trennung, Sehnsucht und all das haben sicher jeden Teenie beschäftigt. Und ich war ja damals 16, 17 Jahre alt. Warum also sollte mich das nicht beschäftigt haben?
Davon abgesehen, sind es die Melodien, die immer wieder mitreißen. Mich beeindrucken aber nach wie vor die melancholischen Highlights „Fading like a flower“ und „Things will never be the same“. Aber jeder findet bei Interesse sicher sein eigenes Highlight.
Über 11 Millionen Mal verkauft, 86 Wochen in Deutschland in den Charts, davon rund ein Drittel auf Platz 1 – das sind die Markierungen, die Marie Frederiksen und Per Gessle mit dieser Scheibe hinterlassen haben. Das Album muss also einige Leute gerührt haben. Was sagen Sie denn zu diesem Album? Wie Sie herauslesen, finde ich es grandios.