Memento Mori – Eine Band versöhnt mich

Immer wieder hatte ich Depeche Mode in den letzten 25 Jahren Chancen gegeben. Und dann kommen sie ausgerechnet mit „Memento Mori“ wieder in mein Herz hinein. Und noch viel bezeichnender: Es musste erst dieses Album geben, damit wir angestrengt genug versucht haben, Karten für die Band unserer Kindheit und Jugend zu fahnden. Und es musste erst dieses Album geben, dass wir einen Höllentrip nach Berlin auf uns nahmen. Und Freunde: Es hat sich gelohnt. Lasst mich mal erzählen.

Memento Mori: Auferstehung nach dem Tod

Was haben wir alle getrauert, als Andrew Fletcher völlig überraschend starb. Wer will, kann sich mal über die Todesursache belesen. Es war eine Aortendissektion. Der Kleister der Band war tot. Und dann kommen die beiden Alpha-Männchen Dave und Martin mit „Memento Mori“ um die Ecke gebogen, was man mit „Bedenke, dass du sterben wirst“ übersetzen kann. Klar, dass jeder sicher war, dass das ein Album wegen des Todes von „Fletch“ ist. Ganz so war es nicht, wie wir wissen. Aber was für eine Platte!

Innenseite des Covers von "Memento Mori" mit Widmung für Fletch
Innenseite des Covers von „Memento Mori“ mit Widmung für Fletch (Zum Vergrößern klicken)

Alles beginnt mit dem spröden „My Cosmos in mine“, einem verstörenden Geschrammel mit dem Inhalt, dass man nicht auf seine Seele schauen soll, denn ihm geht es gut. Es folgt das großartigste „Wagging Tongue“ über die bösen Zungen, die ihn zum Schweigen bringen wollen, was mich immer tief beeindruckt. Er wird über den Tod hinaus bedeutend sein. Gleich nach dieser zweiten Single hören wir das sensationelle „Ghosts Again“, das ich hier schon besprochen habe.

Mit „Don’t say you love me“ sind wir im guten alten verrauchten Jazz Club angekommen mit einem phänomenal singenden Dave Gahan, dem der Lebenswandel nicht anzuhören ist. „My perfect stranger“, von Fans gefeiert, glänzt durch seine Monotonie und dem sagenhaften Satzgesang. Martin Gore singt dann fast wie beim James Bond Soundtrack das „Soul with me“ über den Weg ins Jenseits.

„Caroline’s Monkey“ kommt mit einer Reminiszenz auf „Violator“ um die Ecke und erzählt, dass Verschwinden besser als Scheitern ist. Die Gahan-Nummer „Before we drown“ ist eine wunderschöne Nummer über das Aufstehen und Fallen und über das Ertrinken. Bei „People are good“ hören wir dann sogar, dass Gahan und Gore sich auch an Kraftwerk orientieren, um zu erzählen, dass man sich nur oft genug sagen muss, dass die Menschen gut sind.

Was für ein schönes Lied ist dann bitte „Always you“ über den Menschen, der immer da ist, egal wie beschissen alles ist! Das ist ein nahezu zeitloses Stück, wie ich finde. „Never let me go“ wiederum kommt mit Anleihen der klassischen Depeche Mode um die Ecke, allerdings auch dem Charme des Totalausfalls „Soothe my soul“. Und dann kommen wir zum phänomenalen Ende dieses grandiosen Albums.

„Speak to me“ ist das Abschiedslied des Sterbenden, der auf dem Boden des Badezimmers gefunden wurde. Man soll zu ihm sprechen, er hört zu, er ist hier, er wurde gefunden. Jeder, der einen geliebten Menschen verloren hat, wird an diesen Menschen denken. Und ich bin ganz plötzlich beim 29.10.2021. Was für ein Abschluss für ein Album! Jedes Mal stehe ich da im Wasser.

Ein Erlebnis, das man nicht vergisst

Am 09.07.2023 waren wir im Olympiastadion Berlin, wo Depeche Mode mit „Memento Mori“ das zweite Konzert gaben. Es war heiß, absolut irre! Als Vorband trat die britische Trip Hop / Ambient Band Hælos auf. Alter, waren die großartig! Wenn ihr Bock habt, solltet ihr unbedingt mal nach ihrer Musik suchen, es lohnt sich! Und dann kamen sie: Dave Gahan, Martin Gore, Christian Eigner und Peter Gordeno und begannen mit dem Outro von „Speak to me“. Eingenordet, jawohl, Sir!

Es folgten „My Cosmos is mine“ und „Wagging Tongue“ von „Memento Mori“. Und dann hatten wir „Walking in my Shoes“, „It’s no good“, „Sister of Night“ und „In your Room“ aus den Neunzigern. Man grölte dann „Everything counts“. Mit „Precious“ war man in den 2000ern. Und ich hatte mich unfassbar über „Speak to me“ und „Home“ gefreut, der für mich letzten richtig guten Single bis „Ghosts again“. Und als Tour-Premiere gab es eine akkustische Version von „Strangelove“, die Martin Gore auch sang.

Natürlich spielte die Band „Ghosts again“, auch wieder komplett unfassbar, bevor sie das grandiose „I feel you“ schrammelten. Ich komme nicht darauf klar, aber sie spielten dennoch „A Pain that I’m used to“. Und dann gab es das Highlight oben im Foto: „World in my Eyes“, das Lieblingsstück von Fletch, ihm gewidmet. Leider folgte dann der Totalausall „Wrong“, mit dem ich bis heute nichts, aber auch gar nichts anfangen kann.

Glücklicherweise wurde ich mit einem sensationellen „Stripped“ entschädigt. Es folgte „John the Revelator“, auch so eine Nummer, die mir nicht zugänglich ist. Und das Hauptset wurde dann mit „Enjoy the Silence“ beendet, aber wie! Na klar, die Band verließ dann die Bühne, um sich feiern zu lassen. Es MUSSTE ja noch das Encore kommen. Kein Konzert ohne Zugabe.

Dave und Martin erschienen ganz vorn an der Bühne, im Hintergrund schusterte Christian Eigner am Keyboard herum, und sie präsentierten eine Akkustik-Version von „Condemnation“. Und natürlich: Kein Depeche Mode-Konzert ohne „Just can’t get enough“, „Never let me down again“ und „Personal Jesus“. Damit endete dieses großartige Spektakel aus Geschrammel, Synthie, Kunst und dem Tanz gegen den Tod. „Memento Mori“ wurde extremst gut präsentiert. Was für ein Abend!

Sie haben mich versöhnt

Was habe ich die Herrschaften vergöttert! Depeche Mode waren nie einfach. Ob als Industrial-Götter während „Construction Time Again“ oder als Liebe-in-allen-Facetten-Monster während „Black Celebration“. Sie waren unschlagbar während „Violator“, „Songs of Faith and Devotion“ und „Ultra“. Und dann waren sie dummerweise falsch abgebogen. „Exciter“ war einfach nur schwach. „Playing the Angel“ war trotz des phänomenalen „Precious“ viel zu schrammelig. Aber es ging noch schlimmer.

Bei „Sounds of the Universe“ hatte ich den Faden verloren. „Delta Machine“ empfand ich als Zumutung, obwohl es als eins der besten Alben der Band gilt. Und bei „Spirit“ zog sich die Band irgendeinen Anzug an, der ihnen in meinen Ohren nicht so richtig stand. Ich schrieb damals über dieses Album, dass das Ganze eine uninspirierte Ansammlung von beliebigen Liedchen war. Und das war ich von „Schmohd“, wie sie im Osten heißen, einfach nicht gewöhnt.

Nach all diesen Enttäuschungen war ich natürlich skeptisch, was mich bei „Memento Mori“ erwarten würde. Aber das ist keine Enttäuschung für mich. Ganz im Gegenteil, es ist die Offenbarung des Innersten dieser Band, die mich seit der 1. Klasse begleitet. Es ist die Auferstehung des Spirits, der die Band für mich bis 1997 umgab. Und gleichzeitig ist es das endgültige Manifest einer Band für die Ewigkeit. „Memento Mori“ gibt die Gewissheit: Depeche Mode haben sich unsterblich gemacht.

Das ist großartig, aber auch betrüblich, da das Unbehagen mitschwimmt, dass es das letzte Album der Götter war. Zwei Alphamännchen, die sich versöhnt haben und keinen erbarmungslosen Abnutzungskampf mehr führen, wer wohl die krassere Idee hat. „Memento Mori“ ist so ein felsenfestes Statement wie es nur ein Grabstein sein kann. Vom spröden „My Cosmos is mine“ bis zum tränenreichen „Speak to me“.

„Memento Mori“ ist für mich das beste Album nach „Ultra“ und rangiert bei mir irgendwo in den Sphären der Meilensteine „Black Celebration“, „Violator“, „Songs of Faith and Devotion“ und „Ultra“. Und am Ende ist es wie ein Abschied. Nicht nur mir allein kommt das Album so vor, als sei es ein Schlussakkord. Und so wirken die letzten Worte auf „Memento Mori“ in „Speak to me“ auch irgendwie passend.

It’d be grateful, I’d follow you around
I’m listening, I’m here now, I’m found

Depeche Mode – Speak to me

3 Replies to “Memento Mori – Eine Band versöhnt mich”

  1. Die Vorband Hælos ist mir auch sehr positiv aufgefallen. Allerdings war ich erst recht spät im Stadion, weil ich nicht ewig vorher im Stadion schwitzen wollte. Ansonsten hast Du das Event schön zusammengefasst und, ja – diverse Titel sind Geschmacksache. Ich mag hingegen „Wrong“ wesentlich mehr als den gaaanz alten Urschleim von „Broken Frame“ oder „Construction Time“.
    Am Montag wurden Zusatzkonzerte für den Winter (indoor) verkündet, mal gucken was ich mache ;-) Das *für mich* beste Album + Tour war „Songs of Faith and Devotion“ 1993. Für die Band und Dave wohl aber auch die emotional anstrengstenste Tour. Inzwischen sind sicherlich alle gesundheitsbewusster ;-)

    Positiv zu bemerken bleibt auch, dass man wegen der Hitze 0,5 L PET Flaschen mit nicht alkoholischem Inhalt mit ins Stadion nehmen durfte. Das war eine gute Geste vom Veranstalter. Negativ war die Abfahrt vom Parkplatz. 1,5h kompletter Stillstand und man fragt sich wie sonst so 70.000 Gäste da wegkommen. Ein Grund dafür war nicht erkennbar.

    1. Ja, die Nummer mit dem Parkplatz war schon seltsam. Aber so kam man wenigstens noch zu einem mitternächtlichen Plausch… Ich hab’s ja geschrieben, für mich waren die Herrschaften nicht mehr die gleichen nach „Ultra“. Das war für mich nicht mehr so greifbar. Aber so ist das eben mit den Geschmäckern.
      Das mit den PET-Flaschen hatten wir gar nicht mitbekommen. Wir waren aber froh, dass der etwas zu große Rucksack meiner Frau (War mehr A3 als A4) durchgewunken wurde. Am Ende war das ganze Konzert aber ein riesiger Spaß.

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