„Quelle: Deutsche Pressemeldungen“ – Wikipedia im Visier des Leistungsschutzrechtes

Haben Sie einmal aufmerksam einen Wikipedia-Artikel gelesen? In der Online-Enzyklopädie sind Millionen von Begriffen erklärt, und die Artikel verlinken Pressemeldungen für weiterführende Informationen. Das könnte Wikipedia nun zum Verhängnis werden.

Die Links, die da Wikipedia verwendet, sehen ja so aus: Im eigentlichen Artikel ist eine Fußnote ([1]) aufgeführt, und an der Fußnote selbst ist dann der Presseartikel verlinkt, nämlich so:

[1] #LSR – Leistungsschutzrecht, das sich für die Presseverlage nicht lohnen wird abgerufen am 16.06.2012

Das Vorgehen ist benutzerfreundlich, es verweist auf externe Seiten, ist gut bedienbar. Und da die Wikipedia eine der meistgelesenen Seiten im Internet, partizipieren hier auch die Verlage, deren Pressemeldungen verlinkt werden.

ABER: Sollte das Leistungsschutzrecht so kommen, wie es im Entwurf gestern veröffentlicht wurde (siehe Link im Zitatblock oben), dann ist genau ein solches Vorgehen abmahnfähig und schadenersatzpflichtig. Der Betreiber der Enzyklopädie, die Wikimedia Foundation, ließ über den deutschen Ableger, Wikimedia Deutschland, vermelden, dass die Regelung eine Gefahr für Autoren von freiem Inhalt und für Anbieter von Open-Content-Plattformen wie eben der Wikipedia sei.

Jan Engelmann, Leiter des Bereichs Politik & Gesellschaft bei Wikimedia Deutschland, erklärte, dass mit der Regelung mehr Unsicherheit ins Internet gebracht wird, was den vollmundigen Absichtserklärungen der Bundesregierung entgegensteht, mit Rechtssicherheit für mehr Akzeptanz für das Urheberrecht zu sorgen. Aber wenn ich mein höchst akzeptiertes System der Quellennachweise (am Ende eines Artikels die Angabe der Informationsquelle mit exaktem Namen, der dann auch noch verlinkt ist) so fortsetzen würde, würde ich mich der potentiellen Gefahr von Abmahnungen aussetzen. Heißt so etwas etwa Rechtssicherheit?

Das neu gegossene Leistungsschutzrecht für Presseverlage schafft mehr Unklarheiten als dass irgendetwas sauber geregelt wird. Da kann sich Christoph Keese, verantwortlich für öffentliche Angelegenheiten im Axel-Springer-Verlag, mit seinem Blog „Presseschauder“ lange hinstellen und die Gefahren des Leistungsschutzrechtes herunterspielen, es wird ihm keiner glauben.

Es ist ja nicht einmal geklärt, was mit Verlinkungen passieren soll, die vor der Zeit der Regelung so gesetzt wurden, wie ich es bisher demonstriert habe. Sollten die auch abmahnfähig sein, könnte ich meinen Blog schließen, da ich schlichtweg nicht die Zeit habe, meine ca. 600 Artikel nachzubearbeiten und die Links so zu setzen, dass sie den Qualitätsmedien in den Kram passen.

Sei es, wie es sei, die Wikipedia hat scheinbar wirklich Existenzangst, wenn das Damoklesschwert in Form des Leistungsschutzrechtes tatsächlich unverändert zuschlägt. Wenn man dem IT-Portal Golem glauben darf, erklärte wohl das Bundesjustizministerium, dass Links nicht unter diese Regelung fallen sollen. Es sei aber unsicher, was mit dem verlinkten Text passieren soll.

So lang eine derartige Unsicherheit herrscht, werde ich bis auf weiteres ausschließlich Creative Commons Inhalte / freie Inhalte verlinken und mich ansonsten auf „Quelle: Deutsche Pressemeldungen“ beziehen. Es gibt genügend Modelle, wie dem Leistungsschutzrecht sinnvoll entgegen getreten werden kann, ohne das Urheberrecht zu verletzen.

Wikipedia wird wohl auch nicht anfangen, ihre vielen Millionen Artikel zu überarbeiten. Was dann passiert, wenn das Leistungsschutzrecht so kommt, ist klar: Die Wikimedia Foundation wird in die Pleite geklagt. Dann haben Encyclopedia Britannica und Brockhaus wenigstens wieder einen Grund, ihre Werke teuer zu verkaufen.

Und plötzlich kommt mir eine Idee, diesen Blog so zu gestalten, dass ich trotz des Leistungsschutzrechtes und den Unklarheiten darum diese Webseite kein Verlustgeschäft sein lassen muss: Ich gründe einen Verlag und mache meinerseits das Leistungsschutzrecht geltend. Denn „Quelle: Internet“ ist genau so ein fauler Zauber wie „Quelle: Deutsche Pressemeldungen“.

Es ist völlig klar, dass man seine Quellen benennen muss. Sonst verletzt man nun einmal geltendes Recht. Aber so, wie ein Blogger mit rechtlichen Konsequenzen leben muss, wenn er nicht korrekt zitiert, sollten auch die Qualitätsmedien damit rechnen. Wenn also eine große Nachrichtenwebseite kurzzeitig einen Titel von einem meiner Artikel zwar in „“ gesetzt hat, aber eben „Quelle: Internet“ angegeben hat, verletzt sie das Urheberrecht. Wird ein Titel stattdessen korrekt verlinkt, müsste diese Nachrichtenwebseite von mir lizenziert sein.

Die Lizenzen wird sich aber die Nachrichtenwebseite schenken. Somit geht die Raubwilderei auf kommerzieller Seite weiter, während private Blogger wohl aufgrund der unsäglichen Regelung mit Klagen und Abmahnungen rechnen müssen.

Wie ich mit diesem Blog weiter verfahre, ist mir noch nicht klar. Er ist lediglich ein Hobby. Er wird nur zu einem geringen Teil refinanziert. Mich deshalb „gewerblicher Blogger“ zu nennen, halte ich für übertrieben. Wenn ich noch dazu dann für verlinkte Überschriften der Qualitätsmedien zahlen soll, werde ich meine eigenen Konsequenzen ziehen.

Vorläufig werde ich so verfahren: Wo es sich nicht vermeiden lässt, werde ich auf ausgewählte Medienartikel vereinzelt verlinken. Aber nicht mehr mit einer Liste „Informationsquellen“, sondern direkt im Text und ohne das Titel-Attribut. Das wird bedeuten, dass Google nicht mehr „mitlesen“ kann, was ich da verlinke. Des Weiteren werde ich mir Verlinkungen zu den Qualitätsmedien weitestgehend schenken. Ich habe genügend andere Quellen, auf die ich gefahrlos verlinken kann.

Die Wikipedia hat es da weitaus schwerer. Ich kann mir nur vorstellen, dass der Bertelsmann-Konzern (RTL, n-tv, Stern, Financial Times, P.M. Magazin etc.), dem der Wissen Media Verlag (Verleger der Brockhaus Enzyklopädie) gehört, und die Encyclopedia Britannica erheblichen Anteil daran haben werden, wenn konsequent gegen die freie Enzyklopädie Forderungen und Abmahnungen gestellt werden.

Und was den Brockhaus betrifft: Da er zu Bertelsmann gehört, kann ich mir vorstellen, dass hier wieder einmal gehörige Klüngelei beim Kaffeekränzchen aus Angela Merkel, Friede Springer und Liz Mohn (Bertelsmann-Erbin) am Laufen ist. Wir können also vielleicht unterm Strich festhalten, dass es sich nicht um die viel beschworene „Lex Google“ handelt, sondern um die „Lex Wikipedia“.

Weiter gefasst könnte man das Leistungsschutzrecht nicht nur als „Lex Google“ oder „Lex Wikipedia“ bezeichnen, sondern als „Lex Blogger“, wie es der Blog „Nachbars Garten“ nennt. Blogs sind seit jeher ein Bündel Dorne in den Augen der Qualitätsmedien. Und die Stiche brennen immer mehr, je mehr Einfluss Blogger erlangen. Es wird eben nicht nur über romantische Sonnenaufgänge und Urlaubsreisen berichtet, sondern es wird teilweise recht energisch Meinung gemacht, Recherche betrieben, fast so etwas ähnliches wie Journalismus gemacht. Ich habe irgendwo gelesen, dass Blogs durchaus die ernstzunehmenderen Zeitungen sind. Vor allem politische Blogs. Und irgendeins der Sprachrohre des Medienkartells hat mitten in der Urheberrechtsdebatte darüber getönt, dass die Blogs im Revier der Medien wildern würden.

Ich kann beide Erinnerungen leider nicht mehr mit Links belegen. Fakt ist jedoch, dass der Einfluss der Blogs nach Meinung der Qualitätsmedien politisch gestoppt werden soll. Wie gesagt, Christoph Keese kann da erzählen, was er will. Die Meinungen anderer sind da durchaus differenzierter. Und wenn einmal der Einfluss der Blogs gestoppt werden soll, könnte man auch gleich nochmal was gutes für Bertelsmann tun und die Wikipedia stoppen.

Das ist meiner Meinung nach der Grund für das Leistungsschutzrecht. Keine „Lex Google“. Welcher Verlag ist schon so selbstmörderisch und manövriert sich aus dem Google-Index? Hier geht es um den Zwist „Freie Medien gegen Qualitätsmedien“.

Ich werde die Sache beobachten. Momentan sehe ich keinen Grund zum Schließen des Blogs. Wenn die Qualitätsmedien gegen diesen Blog aber vorgehen wollen, weil mit ihm auf sie verwiesen wird, dann muss ich handeln. Denn ich gehe nicht arbeiten, um die Unfähigkeit der Medien zu qualitativ hochwertigen Journalismus und damit deren Unfähigkeit zur sauberen Gewinnmaximierung zu finanzieren.

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