Sachsen: Das Bayern des Ostens

Sachsen steht vor den größten Landtagswahlen der Welt. Zumindest, wenn man so den überregionalen Zeitungen glauben darf. Alles wird schlimm. Aber wird es das tatsächlich? Oder wird es eher so wie bei Jürgen Hart, der dem Sachsen das Gemütliche angedichtet hatte? Schauen wir einfach mal auf das bayrischste Bundesland unter Gottes Sonne.

Es is e eichen‘ Ding!

Die Sachsen ist sind ein komisches Volk. „Zufrie’n, ruich un glicklisch“ sollen sie sein, wie Jürgen Hart es sang. Das eigentliche Siedlungsgebiet des Volkes war mal Nordwestdeutschland: Niedersachsen, Teile NRWs, Teile der Niederlande und Schleswig-Holstein bis rauf nach Dänemark.

Dieses eher kriegerische Volk unterwarf etliche Völker und schlug sich nach Süden durch. Das Herzogtum Sachsen bestand unter anderem aus Ostfalen. Kaiser Barbarossa zerschlug das alte Sachsen-Reich. Im 15. Jahrhundert wurde um das Herzogtum Meißen das Großherzogtum Sachsen neu gebildet. Und irgendwann wurde es Land. Seit 1990 wieder.

Die Sachsen sind also immer schon gern gewandert – oder halt: „gelatscht“. Jürgen Hart singt „Der Sachse liebt de Reise sehr, nu, dem liecht das in’n Gnochn“. Ob genau die alte Geschichte damit gemeint ist, ist nicht überliefert. Überliefert ist allerdings, dass die Sachsen immer sehr gesellig waren. Immer „Party Hard!“ – Die „Love Parade“ hätte nach Sachsen gemusst: Techno auf der Prager Straße, geil!

Stattdessen hat es in Sachsen Schwerindustrie gegeben, die in lauschige Bergtäler hinein geworfen wurde. Oder wie ist die „BSG Wismut Aue“ zu erklären, aus der der „FC Erzgebirge Aue“ entsprang? Aber auch diese Industrie ist weg. In Sachsen geht derweil die Kunde von Ministerpräsident Kretschmer, dass Sachsen ländlich geprägt sei.

De Sachsen, de braven Erdenbercher

Jürgen Hart singt, dass die Sachsen als brave Erdenbürger bekannt sind. Brav bedeutet ja jetzt rechtschaffen, artig und derartiges. Im Mittelalter hieß brav noch „mutig“ und „tapfer“. Wie das englische Wort „brave“. Eigentlich stimmt ja beides. Mir sind persönlich keine Menschen aus diesem Bundesland bekannt, die bösartig sind.

Aber: Sachsen streiten sich gern. Und sie sind dabei gern mal dabei, tapfer all ihren Mut aufzubringen. Wie sonst konnte es zu Uwe Steimle’s „Kehre“ – also zur Wende – kommen? Es hat doch niemand ahnen können, dass Rattenfänger Kohl einfach sein Einflussgebiet vergrößern wollte und der westdeutschen Industrie-Elite Ländereien vor die Füße werfen wollte.

Ob die Sachsen „rechts“ sind? Was heißt das eigentlich? Das hier war immer schon ein konservativ denkender Landstrich. Der bayrischste Landstrich nördlich des Bayrischen Waldes. Würde man von den Bayern sagen, sie seien rechts? Konservativ – gern mit einem „Erz“ davor – schon, aber rechts? So ähnlich ist das in Sachsen mit Ausnahme von Leipzig auch.

Auf Veränderung hat man immer schon mit Argwohn reagiert. Das ist so wie im niedersächsischsten aller Ost-Ländereien – Brandenburg – auch hier so: Nein, nicht in Dresden, das sich nach dem Krieg neu erfinden musste. Nicht in Leipzig, das immer im Wandel war. Auch nicht in der „Stadt der Moderne“ Chemnitz, das viele Jahrzehnte genüsslich schlummerte.

Aber in Ehrenfriedersdorf achten sie eben auf ihre Pyramide. In Pulsnitz gibt es Pfefferkuchen. In Naunhof sagen sie auch „Das hammer immer schon so gemacht“. Schlagartige Änderungen wie die Wende oder das bundesdeutsche Jammer-Chaos rund um die Flüchtlinge hinterlassen in Sachsen immer größere Schäden als woanders.

Doch kommt der Sachse nach Berlin…

In Berlin haben es Sachsen immer schwer gehabt. „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“ war greifbar. Jürgen Hart singt: „Doch kommt der Sachse nach Berlin, dort könn’se ihn nich leidn. Dort wolln’sem ehne driewer ziehn, da wolln’se mittem streitn“. Das ist auch nach wie vor so. Sächsische Spitzenpolitiker werden gern bis heute am Nasenring durch die Manege gezogen.

Jeder ist begeistert vom „liberalen Leipzig“ und vergisst dabei, dass die in Kitzen auf „die elenden Städter“ schimpfen. Die Okulare der Berliner Bundesabgeordneten können halt nicht schärfer gestellt werden. Gibt es dann richtige Probleme, die ja niemand abstreitet, heißt es dann aus Berlin „Ganz Sachsen hat ein Naziproblem“. Die Okulare, Sie wissen schon.

Wir waren vor der letzten Bundestagswahl in Dresden auf Urlaub. So viele AFD-Plakate wie dort habe ich in Leipzig nie gesehen. Hier faseln die Plakate irgendwas von „Pasemann wirkt“. In Dresden und woanders ist das immer aggressiver, so weit ich weiß. „Un‘ tut mer’n ooch verscheißern, sei Liedchen singt er eisern“.

Ich denke, das ist so das zentrale Element. Sachsen steht gut da, keine Frage. Aber eben nicht in Ottendorf-Okrilla. In Straßgräbchen fährt halt auch kein Zug mehr. Und im größten Berlin der Welt faseln sie davon, dass die Menschen dann eben in die Stadt ziehen sollen. Stattdessen wollen Kretschmer und Dulig den ÖPNV wieder ausbauen und attraktiver machen.

So, wie auch mehr Geld für den Braunkohle-Ausstieg für bessere Perspektiven notwendig wird, so muss auch mehr Geld für Bus und Bahn her. Vielleicht nicht so sehr in Leipzig. Aber Falkenstein im Vogtland würde mit Sicherheit davon profitieren. Das ist das Stöckchen, über das der Bund beim besten Willen nicht zu springen imstande ist.

Grillen, reden, Lieder singen

Da die Sachsen ja so „gemietlich“ sind, tobte Michael Kretschmer 18 Monate durchs Land. Er war nicht nur auf hochtrabenden Konferenzen. Sondern er grillt schon mal oder singt im Erzgebirge das Steigerlied. Vor allem aber redete er mit den Menschen. Mit stoischer Gelassenheit, wie „mir Sachsen“ halt so sind. Und hier zeigt sich eben auch noch mehr:

Kretschmer will auch das Land verändern. Und er will die Menschen wieder näher zueinander bringen. Aber bitte mit Augenmaß. Denn sonst wollen sie ihm „ehne driewer ziehn“. Allen voran der Photovoltaik-Investor Jörg Urban von der AFD, der aber erneuerbare Energie ablehnt. Das ist dann halt nicht ehrlich. Und ehrlich waren die Sachsen eben auch immer.

Wer den Sachsen nicht in den Kram gepasst hatte, der war eben immer schon ein „Orschloch“. Das darf man auch gern immer weiter so praktizieren, weil das eben eine Praktik ist, mit der man umgehen kann. Womit man nicht umgehen kann, ist mit falschem Glanz zu locken. Es wird sich nichts ändern, wenn man wie ein Hund bellt. Man darf gern miteinander reden.

Und das unterscheidet den Herausforderer vom Amtsinhaber. Der eine erzählt wieder von blühenden Landschaften wie der Rattenfänger Kohl, nur eben dass es Luftschlösser sind. Der andere macht einfach mal. Der Link weiter oben dürfte aufklären. Und deshalb wird die Landtagswahl auch anders ausgehen als vor einem halben Jahr gedacht. Nämlich „Zufrie’n, ruich un glicklisch“.

Nein, auch danach ist nicht alles Gold, was glänzt. Aber es ist ein Anfang gemacht. Es wird nach der Landtagswahl eh nichts mehr so sein wie vorher. Aber vielleicht tut das Sachsen auch mal ganz gut, durchgerüttelt zu werden. Dann kann man danach immernoch singen:

Jürgen Hart - Sing mei Sachse sing.
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Und warum ist Sachsen nun wie Bayern?

Warum also schreibe ich davon, dass Sachsen das Bayern des Ostens ist? Ganz einfach: Das ist so ein Gefühl. Die Bayern sind ja auch eher konservativ. Aber sie sind auch Vorreiter, sie sind Macher, sie sind gesellig und all das. Und Bayern liegt im Süden. Im Osten Deutschlands trifft all das auch auf Sachsen zu. Nur: Wir haben den besseren Witz.

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