Othering: Wenn „die Sachsen“ als komische Vögel gelten sollen

Haben Sie mal den Begriff „Othering“ gehört? Es ist das „DIE DA“. Deren Angelegenheiten, die uns nicht interessieren. Die selbst schuld sind. Das Paradebeispiel für Othering ist die Ossi-Wessi-Diskussion seit 30 Jahren. Das Alte-Bundesländer-versus-Neue-Bundesländer-Geschwafel. Oder wie „DER SPIEGEL“ neulich meinte: „So isser, der Ossi“.

Wo kommt das Othering eigentlich her?

Der deutsche Philosoph und Idealist Georg Wilhelm Friedrich Hegel beschäftigte sich als erster mit dem Othering. Das war 1807. „Herrschaft und Knechtschaft“ hieß das. Es geht immer nur darum, dass jemand oder eine Gruppe den eigenen sozialen Status hervorheben will. Das geschieht, indem Menschen mit anderer Sozialisierung als „fremd“ klassifiziert werden.

Im Osten gilt „der Wessi“ auch 30 Jahre nach der Wende (Uwe Steimle nennt das Ereignis „Kehre“) beim „Ossi“ als so genannter „Besserwessi“. Und die schwarz-rot-goldene Fischermütze auf dem SPIEGEL bedient dieses Klischee. Damit wird dann eben auch eine reine Gleichmachung der anderen Bevölkerungsgruppe bedient. „DIE DA sind doch alle gleich.“

Es ist egal, was damit bezweckt werden soll

Othering ist immer ein blödes Mittel. Denn es grenzt aus. Niemand will mit „DENEN DA“ zu tun haben. Eigentlich wollte ich hier einen deutschen Journalisten einbauen, der fleißig Sachsen runterputzt. Das macht er aus maximal sicherer Distanz. Ich unterstelle ihm, keine Ahnung von Sachsen zu haben. Und ich weiß auch nicht, was er damit bezweckt.

Aber solche Leute – ja, es gibt noch mehr von ihnen – schaffen es, Sachsen in Misskredit zu bringen. Ganz ehrlich: Das müssen nicht irgendwelche Medienmacher aus dem „gelobten Land“ machen. Das haben eine ganze Menge Sachsen schon selbst geschafft. Aber, und das ist das Entscheidende: Längst nicht alle. Und das wird gern durch „Die Ossis“ und „Die Sachsen“ unter den Tisch gekehrt.

Seit Monaten liegen Menschen der sächsischen Bevölkerung auf dem Seziertisch. Nein, anders: Eigentlich sind es ja „Die Sachsen“. Man denkt sich immer wieder neue Symptome aus, um „So isser, der Ossi“ zu bestätigen. Vielleicht hat man ein „Nazi-Gen“ in der „DNA der Sachsen“ erkannt. Vielleicht aber auch nicht. Es ist ja nicht klar, was damit bezweckt werden soll.

Was wissen „DIE DA“ vom Osten?

Kam man vor 30 Jahren irgendwo im „gelobten Land“, also in den „Altlasten-Bundesländern“ an, bemerkte man als jemand aus dem Osten der Republik eine eigenartige Haltung. „Was? Sie kommen aus der DDR? Und da sprechen Sie so gut deutsch?“ – Das ist so eine Reaktion aus „dem Westen“. Nichts wissen sie. Oder wissen sie davon, was das mit dem wilden Osten ist?

Der westdeutsche Geschichtsunterricht behandelte Deutschland bis 1945 als ein Land. Ab da bis 1990 nur die damalige BRD. Und die östlichen Ländereien fielen dann plötzlich 1990 wieder vom Himmel. Wie kommen dann irgendwelche Leute auf die Idee, sich eine Meinung bilden zu können? Wie kam es überhaupt zu der Arroganz? Dazu ist dieser Artikel sehr interessant.

Sachsen vor dem Umbruch

Am Sonntag – also in zwei Tagen – ist der 01. September 2019. An diesem Tag findet die Landtagswahl statt. Danach wird sich wohl vieles ändern. Denn selbst die regierenden Parteien können nicht einfach so weitermachen. Die Tillich-CDU holte 2014 39,4% der Stimmen, die SPD 12,4%. Die AFD spielte mit 9,7% nicht so die große Rolle.

Aber das wird sich ändern. Prognosen sagen, dass die beiden Regierungsparteien zusammen nur noch auf 40% kommen. Die AFD soll rund 25% erreichen. Aber auch die Grünen spielen eine enorme Rolle. Fanden Rechtsextreme zwischen 2009 und 2014 nicht statt, so sind sie mit der AFD seitdem wieder vorhanden. Und darauf muss die CDU reagieren.

Was wird nicht alles versprochen! Ich glaube, einen großen Teil davon müssen Michael Kretschmer und Martin Dulig in die Tat umsetzen. Dafür brauchen sie Unterstützung. Am ehesten scheint das noch mit den Grünen möglich. Man kann sich nicht riechen, muss aber dem Wohl des Landes dienen. Das dürfte eine ganz neue Erfahrung für Sachsen sein.

Ach, das gibt es woanders nicht? Genau, „die Sachsen“ sind halt sonderbar. Aber mittlerweile sind es doch viele Muss-Konstellationen auf Landesebene, weil nichts anderes geht. Lassen wir also das Othering. Das hilft niemandem. Es gab in den letzten Wochen ein Umdenken bei Umfragen. Und genau das zeigt, dass Sachsen vor einem großen Umbruch steht.

Können wir dann mit „die Deutschen“ anfangen?

Es gab zu viel von „DIE DA UND WIR DA“. Ich kann es nicht mehr hören, dieses Othering. Viele sind im Osten aufgewacht und lassen sich nicht mehr von der AFD besoffen quatschen. Wenn Alexander Gauland von „Machtergreifung“ fabuliert, ist man ganz schnell im Dritten Reich angekommen. Das will niemand im Osten.

Warum steigen „die Sachsen“ nicht einfach mal vom Seziertisch und krempeln die Ärmel hoch, wie es Michael Kretschmer vorgeschlagen hat? Der hat sich aus dem Schatten des Tillich-Desasters frei geschwommen. Das ganze Bundesland kann sich dann vielleicht auch aus dem AFD-Schatten heraus schwimmen.

Es nützt ja nichts. Man muss nicht ewig in der Opferrolle hängen. Vielleicht kommt es dann irgendwann mal dazu, dass man nicht mehr „die Ossis“ und „die Wessis“ sagt, sondern „die Deutschen“? Ja, das bedeutet Veränderung. Und alles, was sich ändert, dem stellt sich die „German Angst“ entgegen. Aber es könnte sich ja tatsächlich lohnen.

Natürlich wird es auch in Zukunft Menschen geben, die jeglichen Firlefanz der Populisten glauben. Die darf man aber dennoch nicht ausgrenzen. Denn dann sind wir gleich wieder beim Othering. Und wer will das schon haben? Sie etwa?

2 Replies to “Othering: Wenn „die Sachsen“ als komische Vögel gelten sollen”

  1. Frau Stange, SPD – Ministerin in Sachsen, hat gesagt:

    „Ich glaube, die Demokratie ist im Osten noch nicht angekommen“ Landtagswahlen in Sachsen und Brandenb: SPD-Ministerin: „Demokratie im Osten noch nicht angekommen“

    Mir fällt bei solchen Äußerungen nichts mehr ein. Die Umfragen sagen für die SPD 8 % voraus. Frau Stange hält das für zu viel und legt mit dieser Aussage die Basis für das offenbar angestrebte 5% Ziel.

    Verallgemeinerungen sind schlimm. Da muss ich dir zustimmen. Ich bin von diesem Virus leider auch nicht frei (du weißt es ja). Statt die Gemeinsamkeiten der Mehrheiten zu betonen, ziehe ich die Umfragewerte der AfD (25%) zurate und verallgemeinere bis der Arzt kommt. Das ist nicht ok. Und es ist gut, dass du immer wieder darauf zu sprechen kommst. Schließlich sollten wir uns am Vorgehen der AfD-Fratzen kein Beispiel nehmen, sondern es anders machen. So, wie wir es gelernt haben.

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