Die gute alte Zeit – Alles wie früher

Wenn ein Jahr zu Ende geht, denkt man gern voller Sentimentalität an die gute alte Zeit. Die Frage ist dann halt immer, ob die Zeit wirklich so gut wie alt war. Ja, ich gewinne heute den Satz-Drechsler-Award, ich weiß schon. Aber ich habe mich tatsächlich gefragt, ob diese Zeiten, die wir in unserer Sentimentalität aus dem Oberstübchen nach unten ins Bewusstsein tragen, wirklich das waren, wofür wir sie halten: Besser. Was immer das heißen mag. Deshalb fiel mir das überhaupt ein.

War denn das Bloggen besser?

Als ich vor 75 Jahren nach Leipzig zog, also quasi gestern, vor einem Wimpernschlag sozusagen, gab es etliche Blogs, die einfach nur die Gedanken derjenigen enthielten, die diese sich von der Seele schrieben. Niemand hatte gedacht, dass irgendwer die Blogs als Gelddruckmaschinen hernehmen würde. Und als ich so meine Artikel die letzten Wochen durchging, fiel mir auf, wie ich am Anfang so vor mich hin gebloggt hatte. Niemand hat die Absicht, ein Business zu bauen.

Bei mir ist es dabei geblieben, dass ich so eine Absicht halt nicht habe. Aber wenn man viele andere Blogs sieht, muss das bei denen anders sein. Und dann setzen die sich immer mal hin und flennen und denken an die gute alte Zeit, als sie noch keine Business-Pläne erarbeiten mussten. Ja, das war früher echt besser, weil man als Leser wusste, dass da Artikel voller Blut, Schweiß und Tränen steckten. Der Anteil dieser Artikel heutzutage ist leider eher gering.

Alledings ist es auch heute so, dass sich viele Menschen, die Blogs schreiben, einfach nicht das Maul verbieten lassen. Wenn wir es schaffen, uns diese Art zu erhalten, kann noch alles gut werden. Denn es wird immer Menschen geben, die ihren Kram ungefiltert ins Internet rülpsen. Und ich bin ehrlich, ich will mich auch wieder mehr dieser Gruppe der Blogger zugehörig fühlen. Das macht einfach mehr Laune. Ich will einfach mehr anecken. Das schrieb ich ja schon mal.

Dezentral ist das neue Normal?

Ich muss sagen, nach anfänglichen Schwierigkeiten gefällt es mir von Tag zu Tag immer besser bei Mastodon. „Bei Mastodon“, wie das klingt! Das würde ja heißen, dass ich mich auf EINER Plattform herumtreibe. Aber es sind UNZÄHLIGE Plattformen, die den Mikroblogging-Dienst bereitstellen. Wer noch nicht dort ist, sollte sich das mal anschauen. Was spricht denn dagegen? Ja, es funktioniert schon anders als Twitter. Aber es funktioniert. Und meiner Ansicht nach besser als Twitter.

Aber ist nun die gute alte Zeit des Netzwerken wieder da? Sind wir alle in eine Diaspora abgehauen, so als Twitter-Flüchtlinge? Ich glaube das eher nicht. Es ist eine neue Art des Netzwerkens. Ich glaube, die ganze Nummer mit dem Konkurrenzdenken ist vorbei. Denn es gibt keine zentralen Algorithmen, die dir erzählen, dass du dir völlig unwichtige Dinge als wichtigstes überhaupt anschauen sollst. Und solche Dinge wie Mastodon werden halt nicht von einem, sondern von vielen betrieben.

Wenn ich mir überlege, wie die großen Plattformen arbeiten, wird mir richtig flau im Bauch. Es geht immer nur darum, Werbung zu platzieren und die Nutzer möglichst lang gefangen zu nehmen. Sind User einmal verhaftet, kann man denen sonstwas andrehen. Das ist bei Mastodon anders. Ob irgendwann eine Kommerzialisierung Einzug hält, kann ich nicht vorhersehen. Im Moment ist es die gute alte Zeit vor Facebook, Inc. und Twitter, Inc.

Die gute alte Zeit hat aber auch einen Haken

Irgendwo in Süddeutschland, irgendwann in der Vergangenheit
Irgendwo in Süddeutschland, irgendwann in der Vergangenheit

Ich habe keine Ahnung mehr, wann und wo ich das Foto aufgenommen habe. Es muss irgendwo Richtung Ingolstadt vor Jahren entstanden sein, als ich auf einer Dienstreise zum dortigen Autobauer war. Aber dieses Foto zeigt ganz gut, was ich meine: Die gute alte Zeit hat nämlich auch so seinen Haken. Ich habe ja oben gefragt, ob sie denn wirklich so gut war, diese alte Zeit. Ich fand Dienstreisen meistens spannend. Aber die sind alle schon viele Jahre her, und mich beschleicht da ein blödes Gefühl.

Was wäre denn, wenn man sich nur einredet, dass in diesem so genannten „Früher“ alles besser war? Ich habe nämlich das dumme Gefühl, dass das nicht stimmt. Es war wilder, weniger geregelt oder standardisiert und ganz sicher nicht ganz so hochgezüchtet. Aber besser? Ich kann mich an eine Autofabrik erinnern, die nur so halb geil war. Zum Teil alte Gebäude, zum Teil allermodernste Anlagen. Dennoch hält man diverse Autobauer für das Maß aller Dinge. Und das meine ich.

Was spricht denn dagegen, wenn wir die Vergangenheit Vergangenheit sein ließen? Versuchen wir doch lieber, alles ein wenig besser zu machen. Die gute alte Zeit ist zwar schön und gut. Aber wir müssen nicht die Zeit zurück drehen. Früher gab es nämlich irgendwann auch mal einen Kaiser. Ich weiß nicht, ob den jeder wiederhaben will. Auch die Sache mit dem Schnee wird meiner Meinung nach überschätzt. Und da bin ich nicht allein, wie ich sehe.

Nein, am Ende will ich nicht die gute alte Zeit wiederhaben. In der hatte ich genug drauf gezahlt. Emotional, finanziell, gesundheitlich etc. Machen wir stattdessen aus dem, was wir in den letzten Jahren erlebt haben, das beste. Oder nein, lernen aus dem Erlebten und machen es künftig besser. Ohne Schwärmerei für die gute alte Zeit, die vielleicht gar nicht so gut war. Aber eben auch nicht mit all dem Schunder, den wir seit Jahren erleben. Macht ihr mit?

8 Replies to “Die gute alte Zeit – Alles wie früher”

  1. Früher war das alles mit dem Bloggen (für mich) insofern besser, als dass ich da Studentin war. Alleine deshalb entfiel schon die Gewinnerzielungsabsicht. Die Blogosphäre war frei und wild, es gab noch kein Facebook, das alle Kommentare an sich gerissen und eine Schneise der Digital-Verwüstung hinter sich hergezogen hätte. Dass ich dann im Laufe der Jahre meinen Blog doch irgendwie und gewissermaßen durch die Hintertür monetarisiert habe, lag daran, dass ich mir durch das Bloggen so viele digitale Kompetenzen aufgebaut habe, die ich dann in meine Tätigkeit als Texterin einfließen lassen konnte. Dennoch sage ich selbst heute noch, ca. 18 Jahre nach meinem ersten Blogartikel: mein Blog ist mein Hobby, nicht mein Job – und schon gar nicht ein Content-Marketing-Projekt. Ich hoffe auch auf eine neue Hochzeit (langes o) von Blogs, auf eine Emanzipation von Facebook, auf eine Blütezeit von dezentralen Netzwerken. Aber, oh well, viele sind so verstrahlt von dem „Du musst schnell mit deinem Content Geld verdienen“-Denken, dass ich da eine gewisse Skepsis habe…

    1. Dass ich das irgendwie ähnlich sehe, sollte aus meinem Artikel herauszulesen sein. Ich hoffe sehr darauf, dass man die Vorteile sieht, sich nicht auf die großen Player zu verlassen. Ich denke schon, dass die Blogs sich zum großen Teil neu aufstellen werden. Das liegt in der Natur der Herdenbewegung. Warten wir mal ab.

  2. Früher war nicht alles besser – das ist eine Binse – es war halt alles anders. Und ich stimme dir zu: man sollte das Rad der Zeit nicht zurückdrehen, sondern mit den gewonnenen Erfahrungen die Zukunft gestalten. Nicht die gleichen Fehler wiederholen, sondern neue, eigene machen… :-)

  3. Naja, das mit dem Schnee sehe ich nicht so wie du, Henning. Ich hätte schon gerne Schnee wie früher. Ich liebe den Winter sehr, aber wir sind daran Selbstschuld (Klimawandel). Ansonsten gehe ich größtenteils mit dir mir.

    Lorenzo

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