25 Jahre „The Breathtaking Blue“ von Alphaville

Ja, mal wieder ein Alphaville-Album, was ich hier mal bespreche. Aber dieses Album muss sein. Man spricht gern davon, dass Alphaville mit diesem Album erwachsen geworden sind. Es ist das Album, das am meisten unterschätzt wurde und deshalb sehr schlecht verkauft wurde. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass es eine großartige Scheibe ist, die da 1989 erschien.

Das atemberaubende Blau schwingt durch jedes der 10 Lieder auf dem Album mit. Kennen Sie den Begriff „Blaue Stunde“? Das ist die Zeit kurz nach Sonnenuntergang bis zur Nacht bzw. kurz nach der Dunkelheit bis zum Sonnenaufgang. Genau dort ist das Album angesiedelt. Es ist die Zeit des Innehaltens, entweder vor dem Schlaf oder vor dem Alltag. Und hierfür scheint es auch gedacht zu sein.

Ich habe das Album wiederentdeckt. Als es veröffentlicht wurde, am 04. April 1989, war ich 15 Jahre alt. Zu diesem Zeitpunkt war das Album nahezu unzugänglich für mich. Mit 40 Lenzen sieht man das aber völlig anders. Und somit möchte ich die einzelnen Lieder des großen Opus kurz vorstellen.

Das Album beginnt nicht mit einem Knaller. Soft geht es durch den „Summer Rain„. Es geht um die Endzeit der Welt, zu der kein Lüftchen weht, alles staubtrocken ist und die, die noch da sind, verzweifelt auf Regen warten. Poetisch singt Marian Gold von den goldenen Zirkusmädchen, die alle fortgesegelt sind. Im Zirkus ist auch niemand mehr, der die Löwen bändigt. Und der, der die 7 Siegel zerbricht, wird die wütenden Engel freilassen. Damit wird schon einmal der Zuhörer richtig eingenordet.

Es folgt der große Hit des Albums, „Romeos„, den ich bis heute als eine der beeindruckendsten Alphaville-Singles halte. Es geht um die Jungs, die im Abseits sind. Die vergangenen Jahre haben das Make-Up abgewaschen. Und man kann ihn und seinesgleichen vom Fenster aus sehen. All diejenigen sind in Festungen eingesperrt und wollen ausbrechen. Und dann sind sie die Romeos von der Straße. Das Außenseiter-Lied ist eine Rock-Hymne ganz im Stile von „I want to break free“ von Queen, nur eben theatralischer und – ja – besser.

Das dritte Stück ist eine fast Musical-artige Darbietung. Die Mischung aus Swing, Jazz, Synthie-Pop und was auch immer sonst noch heißt „She fades away„. Es geht um ein Traummädchen, das immer wieder erscheint und dann wieder verschwindet. Im Traum küssen sie sich und wirbeln Schnee auf, und dann ist sie wieder weg. Die Trauer, das Traummädchen nicht festhalten zu können, hört man deutlich heraus.

Nachdem „Romeos“ und „Summer Rain“ als Singles veröffentlicht wurden, wollte die Plattenfirma offensichtlich mit „Mysteries of Love“ wenigstens etwas an die alten Zeiten erinnern. Das funkige Power-Stück erzählt die Geschichte von einer zeitweiligen Trennung. Sie soll einfach nicht darauf hören, was die anderen Leute sagen. Die Trennung muss aber sein, da er frei sein möchte wie die Seeungeheuer. Und das, obwohl er sie liebt.

Etwas eigenwillig kommt dann „Ariana“ daher. Der Star, Ariana, ist überall zu hören. Es gibt die so genannten Arianamaniacs, die Irren, die dem angeblichen Star hinterher rennen. Und die wollen die Welt regieren. Es handelt sich also um eine Karikatur von Fans. Alphaville bedienen sich hier an Anleihen aus den Sechzigern bis zur Neuen Deutschen Welle.

Dann driften wir ganz weit ab in den Jazz mit „Heaven or Hell„. In dem Traumlied geht es um die Welt, die ein weinender Clown ist. Mit Himmel oder Hölle soll die Liebe bezeichnet werden. Er wird nie verstehen, wenn sie zu ihm „Mon amour“ sagt. Das Ganze wird begleitet mit Saxophonen und vielen weiteren echten Instrumenten.

Eine riesige Perle tropft dann in Form von „For a Million“ auf den Hörer hinab. Es geht um die romantische Erinnerung an den gemeinsamen Tanz mit ihr unter der brennenden Sonne. Egal, wo er ist, er wird sich an sie erinnern. Mit großer Latin-Einlage und Rumba-Gitarren wird der besprochene Tanz unter der brennenden Sonne getanzt. Und letztlich ist es nur Erinnerung. „For a Million“ ist eins der zeitlosen Meisterwerke von Alphaville und dient seit einem Vierteljahrhundert als Maßstab für jeden Künstler, er ernst genommen werden will.

Spröde wird es dann mit „Middle of the Riddle„. Das funkige Stück mit Marscheinlagen erzählt uns von der Mutter aller Rätsel. Es geht darum, was passiert, wenn man beim Zaubern kein weißes Kaninchen erhält. Es geht um Einladungen von Leuten, an die man sich nicht erinnern kann. Der Kitzel des Unberechenbaren wird hier besungen.

Beeindruckend läuten dann Alphaville allmählich das Ende ein. „Patricia’s Park“ ist ein sagenhaftes Instrumentalstück, das einer asiatischen Oper entsprungen sein könnte. Das Stück beschäftigt sich mit dem Koyaanisqatsi, der filmischen Dokumentation über den Eingriff des Menschen in die Natur. Der Link führt zum offiziellen Kurzfilm zum Lied.

Marian Gold, Richi Echolette, Bernard Lloyd und die gesamte Band dahinter verabschieden sich danach mit „Anyway„. Der Rausschmeißer-Song beschäftigt sich mit der Frage: Soll ich „Auf Wiedersehen“ oder „Leb wohl“ sagen, wenn es vorbei ist? Schließlich liebt er sie ja trotzdem irgendwie. Trotzdem ist alles gesagt und getan, alles ist geschlossen und heruntergefahren. Wer wird was aus der Sache mitnehmen?

„The Breathtaking Blue“ würde ich trotz des teilweise losen Charakters als Konzept-Album bezeichnen. Das Konzept sähe dann für mich so aus, dass die Grenzen der Pop-Musik möglichst weit ausgelotet werden sollen, bis sie überschritten sind. Dazu noch das viel bestimmende Thema der Traurigkeit über Liebe, die am Ende ist oder nie stattgefunden hat. Zum Album gibt es auch eine DVD, auf der zu jedem der 10 Lieder ein Kurzfilm zu sehen ist. Das ist auch so ein Kriterium, was „The Breathtaking Blue“ zum Konzept-Album macht.

Die Scheibe war nicht sonderlich erfolgreich. Wahrscheinlich, weil es keine wirkliche Hitsingle enthielt. Und „Romeos“ als treibende Kraft – sozusagen die „Lead Single“ – war so fremd und anders, dass es nicht die Kraft transportieren konnte, die es beinhaltet. Insofern ist „The Breathtaking Blue“ unverdientermaßen ein Misserfolg. Oder wie sehen Sie das?

4 Replies to “25 Jahre „The Breathtaking Blue“ von Alphaville”

  1. Hallo Herr Uhle,

    Sie sprechen mir aus der Seele!
    Auch mir war das Album lange nicht zugänglich (ich bin Jahrgang 1970). Auch musste ich mich damals an den neuen Stil von AV gewöhnen. Erst seit ein paar Jahren kann ich wiklich mit den Liedern was anfangen. Schade, dass es damals nicht gewürdigt würde.
    Deshalb, vielen Dank für Ihre Rezension!

    Gruß

    Daniel Drawz

    1. Hallo Herr Drawz,

      vielen Dank für das Feedback. Ja, „The Breathtaking Blue“ ist so ein Album, das sich erst nach langer Zeit erschließt. Es ist immernoch eine Perle im Schaffen der Band.

      Es freut mich, dass Ihnen die Besprechung gefallen hat.

      Viele Grüße

  2. Hallo Herr Uhle,

    es freut mich, daß Sie sich mit diesem Album auseinandergesetzt und es hier besprochen haben. Für mich war es eher so, daß ich bereits beim ersten Hören 1994 das Gefühl hatte, daß Alphaville erstmals ernsthaft Musik gemacht haben. Die ersten Alben haben auch ihren Stellenwert, gewiß, aber musikalisch erreicht The breathtaking blue eine ganz andere Dimension. Das war sogar noch steigerungsfähig, denn Prostitute ist tatsächlich noch vielschichtiger, wenn auch in anderem Stil und mit wesentlich ernsteren Themen.

    Ich kenne keineswegs die Hintergründe und mutmaße ohne Beleg, aber ich stelle fest, daß es ohne Ricky Echolette deutlich abwärts ging. (Das letzte Album vor 2 Jahren war eine Beleidigung.)

    Für mich ist es seit Jahren das am häufigsten gehörte Album. Ich empfehle auch die Vinyl Ausgabe, die bei Romeos ein etwas modifiziertes Ende bereithält.

    Viele Grüße
    A.G.

    1. Hallo A.G.,

      ja, Ricky Echolette war schon eine ziemliche kreative Leuchte bei Alphaville. Je mehr man darüber nachdenkt, desto mehr fällt auf, welchen Meilenstein die Band mit diesem Album gesetzt hatte.

      Das Album kommt mir eben auch sehr reif vor, weshalb ich auch geschrieben habe, dass Alphaville damit erwachsen wurden. Danke übrigens für den Tipp mit der Vinyl-Version.

      Übrigens: Ihr Kommentar fand sich im Spam wieder. Entschuldigung, dass es etwas mit der Antwort gedauert hat.

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