Gesichtspalme #25 – Hartzer unerwünscht?

„Hartzer unerwünscht“ – so einen Passus findet man immer öfter in Anzeigen von Immobilienfirmen. Ich bin derzeit nicht auf Wohnungssuche, daher weiß ich nicht direkt, ob das in Leipzig auch so praktiziert wird. Aber vorstellen kann ich es mir. Es sollte unbedingt klar sein, dass das Diskriminierung unterster Kategorie ist.

Jetzt stellen Sie sich einmal vor, dass jemand runde 50 Jahre alt ist, sein ganzes Leben lang brav gearbeitet hat und dann arbeitslos wird. In unserem tollen Staat ist es ja so, dass dieser jemand dann nie wieder einen Job bekommen wird. Die Folge ist, dass dieser jemand dann zwangsläufig ins Arbeitslosengeld II – landläufig als „Hartz IV“ bekannt – rutschen wird. Und das völlig unverschuldet.

Dann sucht man sich vielleicht eine neue Wohnung, weil die alte vielleicht zu teuer geworden ist, weil das „Amt“ das vielleicht so will, oder aus welchen Gründen auch immer. Man wird aber keine Wohnung finden. Und zwar weil es solche Anzeigen in der Zeitung gibt:

Zeitungsanzeige über eine freie Wohnung mit dem Passus „Hartzer unerwünscht“ – direkt verlinkt von smarrt.de

Da musste ich doch eben mal schauen, ob das wirklich so ist. Mirko Müller hat in seinem Blog „smarrt.de“ auf einen Video-Beitrag von drehwurm1980 hingewiesen. Aber das muss ja nicht so sein, oder? Doch, es ist so.

Ich habe kurz eine Suchmaschine angeworfen und bin auf verschiedene Diskussionen gestoßen. Da werden hanebüchene Behauptungen aufgestellt, von denen die allermeisten auf die Bezieher von Arbeitslosengeld II nicht zutreffen dürften. Anwälte sollen die „Hartzer“ haben, die Betriebskosten-Abrechnung ist angeblich viel zu hoch und wird nicht bezahlt, Mietverträge werden nicht eingehalten usw.

Und es ist nicht die Rede von Menschen, es ist die Rede von „Sorte“. Und in den Diskussionen wird dann dringend dazu geraten, unter keinen Umständen an Hartzer zu vermieten. Finanziell ist es besser, und Ärger erspart man sich auch. Man hofft, dass sich irgendwer mal bis zum „Obersten Gericht“ durchboxt, um „uns“ vor „solchen Menschen“ zu schützen.

Sorry, geht’s noch? Ich kenne die Situation, Bezieher von Arbeitslosengeld II zu sein. Ich weiß, wie es ist, sowieso ausgestoßen zu sein. Aber ich habe zu der Zeit immer pünktlich meine Miete bezahlt. Bzw. wurde das gleich vom „Amt“ erledigt. Beziehern von Arbeitslosengeld II so etwas einfach per se zu unterstellen, ist rufschädigend.

Ich kenne Mieter-Befragungsbögen von irgendwelchen Immobilien-Firmen. Man will ja nur eine Wohnung anmieten, man ist damit kein Schwerverbrecher. Warum muss man sich da bis auf die Knochen ausziehen, und selbst dann wird dem Mietinteressenten nichts geglaubt? Die Immobilien-Firmen fragen nach den wirtschaftlichen Verhältnissen, was okay ist. Sie fragen nach voran gegangenen Mietverhältnissen wegen eventueller Mietschulden, was auch okay ist. Aber ein polizeiliches Führungszeugnis, eine Einschätzung des Arbeitgebers und sowas? Habt ihr sie noch alle?

Immobilien-Firmen sind Anbieter. Sie bieten eine Sache an, nämlich eine Wohnung. Warum soll man sich darauf bewerben? Nein, die Immobilien-Firmen sollten sich bei Mietinteressenten bewerben. Und sie sollen vor allem die Bezieher von Arbeitslosengeld II in Frieden lassen. Meine Hausverwaltung regelt das ja so, dass bei einem Mietverhältnis mit einem Bezieher von Arbeitslosengeld II der Mietzins gleich vom „Amt“ eingeholt wird. Fertig, aus. Kein Theater.

Aber solche Diskriminierungen sind einfach nur schlimm. Wo sind wir denn hier? Was glauben die Immobilien-Firmen, wer sie sind? Ich habe von diversen Immobilien-Firmen in Leipzig gehört, bei denen „Hartzer“ sogar gern gesehen sind. Weil die das genauso machen wie meine Hausverwaltung (siehe vorheriger Absatz). Pünktlicher als ein Amt zahlt kein Vertragspartner auf der Welt. Daher: Es geht auch anders.

Bezieher von Arbeitslosengeld II sind meistens schon gestraft genug. Ich halte meine Behauptung aufrecht, dass die allermeisten Betroffenen relativ wenig für ihre Situation können. Und die haben wegen der sowieso schon vorhandenen Ausgrenzung aus der Gesellschaft genügend zu tun, die müssen dann nicht noch von solchen Anbietern diskriminiert werden. Dann sollen die Immobilien-Firmen halt auf ihren Buden hocken bleiben. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.

One Reply to “Gesichtspalme #25 – Hartzer unerwünscht?”

  1. Hartzer unerwünscht. Ja, diesen Satz hört man öfter, nicht nur von Vermietern. Allerdings machen das Leipziger Vermieter etwas freundlicher; die schreiben ins Angebot „nicht Hartz4-geeignet“.

    Die meisten Vermieter, so sie denn gnädig sind und einen „Hartzer“ in ihren Wohnungen wohnen lassen, bestehen auf der Mietabtretung, so dass sie das Geld direkt vom Jobcenter bekommen. Hat genau 2 Vorteile: immer pünktlich Geld und eine Mietminderung wird so deutlich erschwert. Denn die muss man erstmal dem JC plausibel machen.

    Um aber auf das eigentliche Thema Diskriminierung im Alltag zurückzukommen: noch muss der „Hartzer“ kein deutliches Erkennungszeichen tragen wie seinerzeit die Juden. Aber weit weg sind wir davon nicht mehr. Ein Teil der Hartzer ist aber jetzt schon deutlich sichtbar als solcher gekennzeichnet. Nämlich die Ein-Euro-Jobber aus dem Kommunalen Eigenbetrieb Engelsdorf. Während die offiziellen Kollegen der Stadtreinigung orange Warnwesten tragen bei der Arbeit und tariflich entlohnt werden, sind die Ein-Euro-Jobber an den neongelben Warnwesten erkennbar. Sie bekommen nur eine sehr mickrige Aufwandsentschädigung für die gleiche Arbeit.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert