Urheberrechtsreform: Ist es vielleicht gar nicht so schlimm?

Ich will mal ein paar Gedanken loswerden, was die gestern verabschiedete Urheberrechtsreform der Europäischen Union betrifft. Nicht so ganz kurz. Denn ich mache jetzt mal das, was ich bisher nicht gemacht habe: Ich beschäftige mich derzeit mal damit, was uns Kreativen, Urhebern und Internetnutzern diese Urheberrechtsreform eigentlich bringt. Und das klingt gar nicht so schlimm. Aber ich kann mich irren.

Auf ein Wort in eigener Sache

Viel Porzellan wurde zerschmissen. Ja, ich habe auch mitgemacht. Ich habe mich daran orientiert, was die Menschen behauptet haben, die sich eigentlich mit Recht und Gesetz auskennen. Ich bin kein Jurist und kann deshalb keine tiefgehende Diskussion führen. Aber eins ist klar: Mit einer Fundamental-Opposition kommen wir doch nicht weiter.

Ich bin mit meinem Blog ein Urheber. Nach der Vorstellung vieler Diskussionsteilnehmer bin ich direkt von der Richtlinie betroffen, die das Urheberrecht in Europa neu regeln soll. Ich habe Diskussionen erlebt, die wirklich zum Teil weit unter die Gürtellinie gingen. Das Gegenüber ist aber auch immer Mensch. Ich hoffe, ich bin bei meinen Debattenbeiträgen nicht zu weit gegangen.

Wie dem auch sei. Ich habe es zeitlich nicht geschafft, mich noch eingehender mit der „Richtlinie über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt“ zu beschäftigen. Aber ich möchte dennoch über Passagen diskutieren, die dort drin stehen. Denn sie betreffen die Diskussionspunkte Artikel 11, 12 und 13 – oder neu: Artikel 15, 16 und 17.

Artikel 11 / 15 – Schutz von Presseveröffentlichungen im Hinblick auf die Online-Nutzung

Ich will keine Grundsatz-Diskussion führen. Im Folgenden ein Zitat aus eben jenem Artikel 15 – dem Leistungsschutzrecht für Presseverlage:

Die […] vorgesehenen Rechte gelten nicht für die private oder nichtkommerzielle Nutzung von Presseveröffentlichungen durch einzelne Nutzer.
Der […] gewährte Schutz gilt nicht für das Setzen von Hyperlinks.
Die […] vorgesehenen Rechte gelten nicht für die Nutzung einzelner Wörter oder sehr kurzer Auszüge aus einer Presseveröffentlichung.

Aus dem Text der Richtlinie

Gut, jetzt können wir trefflich über kommerziell und nichtkommerziell streiten. Ist mein Blog nun kommerziell oder nichtkommerziell? Ich habe keine Einnahmen über das Banner zu meinem Hoster Alfahosting. Aber ich habe Einnahmen über die Zählpixel der VG-Wort. Sonst habe ich keine Werbung geschaltet.

Kann ich jetzt Presseveröffentlichungen nutzen oder nicht? Selbst wenn nicht, ich kann Links zu Verlagen setzen, wenn mir danach ist. Das war ja eins der Probleme, weil die Links meistens die Überschrift darstellten. Oder wird das Ganze torpediert durch den letzten Satz, weil nur einzelne Wörter oder sehr kurze Auszüge nicht geschützt sind?

Sie merken: Da ist viel Gestaltungsspielraum gegeben. Klar ist aber, dass der Begriff „Linksteuer“, der schon mal geprägt wurde, hier nicht zutrifft. Im weiteren Verlauf des Artikels ist dann auch noch die Rede davon, dass die Urheber von der Verlagen eine Beteiligung erhalten sollen. Also zieht auch nicht der „Total Buy-Out“, von dem immer mal die Rede ist.

Artikel 12 / 16 – Ansprüche auf einen gerechten Ausgleich

Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass für den Fall, dass ein Urheber einem Verleger ein Recht übertragen oder ihm eine Lizenz erteilt hat, diese Übertragung oder Lizenzierung eine hinreichende Rechtsgrundlage für den Anspruch des Verlegers auf einen Anteil am Ausgleich für die jeweilige Nutzung des Werkes im Rahmen einer Ausnahme oder Beschränkung für das übertragene oder lizenzierte Recht darstellt.

Aus dem Text der Richtlinie

Hier geht es um den Pott der Verwertungsgesellschaften – in meinem Fall der VG-Wort. Ich ging bislang davon aus, dass die Verlage an der gesamten Ausschüttung prozentual beteiligt werden sollen. Dieses Zitat liest sich aber ganz anders. Hier ist es so, dass nur dann ein Verlag beteiligt wird, wenn der Urheber ihn beteiligt.

Also: Bei mir hat kein Verlag die Finger im Spiel, also geht mir auch nichts verloren. Ich verstehe das zumindest so. Wenn es anders lautende Einschätzungen gibt, dann immer her damit. Aber es sieht nicht so aus, als ob Urheber generell um Einnahmen gebracht werden sollen. Und es geht schließlich um das Werk an sich, für das der Urheber keine Vergütung erhält, wenn es legal privat kopiert wird. Und das wird letztlich ausgeglichen.

Artikel 13 / 17 – Nutzung geschützter Inhalte durch Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten

Hier spare ich mir das Zitat. Es würde den Rahmen sprengen. Aber ich habe unten die Richtlinie – also deren Änderung vom 20.03.2019 – verlinkt, damit man alles nachlesen kann. Der „Upload Filter“ ist ab Seite 121 beschrieben. Hier geht es um Diensteanbieter, die das Teilen von Online-Inhalten zulassen. Also die sozialen Netzwerke und dergleichen.

Die müssen sich die Erlaubnis von Rechteinhabern einholen. Dafür wird eine Lizenzvereinbarung vorgeschlagen, damit der Diensteanbieter „Werke oder sonstige Schutzgegenstände öffentlich wiedergeben oder öffentlich zugänglich machen darf“. Und sofern die Nutzer des Diensteanbieters keiner gewerblichen Tätigkeit nachgehen oder erhebliche Einnahmen erzielen, gilt die eingeholte Lizenz auch für sie.

Liegt dem Anbieter keine Erlaubnis – also keine Lizenz – vor, dass die Inhalte geteilt werden können, kommt er in Haftung, wie auch immer die aussehen mag. Wie gesagt, das ist alles wortreich beschrieben. Lesen Sie es am besten nach. Für Youtube bedeutet das: Lizenziert die Inhalte, dann ist alles gut. Was nicht lizenziert ist, darf nicht gezeigt werden.

Im Falle von YouTube bedeutet das auch, dass die Plattform Inhalte nach Erhalt eines Hinweises sperren muss und dann das Hochladen verhindern muss. Ist das der Upload Filter? Ich weiß es nicht. Jedenfalls darf dieser Artikel nicht zur Pflicht zur allgemeinen Überwachung führen, schreibt die Urheberrechtsreform vor.

Weitere Aspekte

Die Kreativen – also wir Urheber – sollen eine angemessene und verhältnismäßige Vergütung erhalten. In Artikel 18 steht, dass dem Grundsatz der Vertragsfreiheit und dem fairen Ausgleich der Rechte und Interessen Rechnung getragen werden soll. Ist das so etwas schlimmes? Kritiker sagten ja wochenlang: Klar sollen die Urheber vernünftig bezahlt werden. Genau das steht hier.

Alles in allem liest sich das jetzt nicht ganz so schlimm. Unterm Strich bedeutet das für die YouTuber: Holt euch die Rechte ein, Musik in euren Videos zu verwenden, dann gibt es auch keine Strafe. Aber das war doch bisher schon so, oder? Es soll doch nur konsequenter durchgesetzt werden, indem die Plattformen – also YouTube – in die Pflicht genommen werden.

All die anderen Artikel sehen jetzt auch nicht so schlimm aus. Noch einmal: Ich bin kein Jurist und kann mit manchen Formulierungen einfach nichts anfangen. Aber alles in allem liest es sich nun nicht so, als ob das Internet kaputt reglementiert wird. Vor allem nicht zu Lasten der Urheber und der Nutzer.

Dass die Plattformen – und allen voran YouTube und Facebook – sich künftig etwas einfallen lassen müssen, wie sie die Urheberrechte einhalten, ist die direkte Konsequenz daraus, dass sie tatsächlich Urheberrechtsverletzungen Türen und Tore aufgemacht haben. Dem Ganzen einen Riegel vorzuschieben, ist jetzt nicht die ganz schlechteste Idee.

Am Ende zeigt es sich, dass ich mich auf die Ausführungen von anderen verlassen habe und dies ein Fehler war. Ich sehe mich dabei allerdings nicht als „Umfaller“. Sondern als jemand, der auf nicht ganz richtige Informationen gesetzt hat. Und dabei sage ich immer: „Prüft eure Informationen!“ – Am Ende habe ich das selbst nicht gemacht.

Die Urheberrechtsrichtlinie

In folgendem PDF-Dokument können Sie die vollständige Urheberrechtsreform nebst den Änderungen vom 20.03.2019 lesen. Wie gesagt: Ich bin kein Jurist. Aber aus meinem Blickwinkel klingt es jetzt nicht so schlimm wie gedacht. Oder sehe ich das komplett falsch?

Viel Lärm um nichts?

Was die Urheberrechtsreform betrifft, gab es ja viel Trara. Sascha Lobo behauptet im SPIEGEL, die Reform schade den Kreativen. Die Kreativen würden zwischen den Verlagen und den Plattformen zerrieben werden. Natürlich ist es Quatsch, dass Verlage und Plattformen behaupten, es würde ihnen um die Urheber gehen. Es ging allen immer nur darum, mehr Geld zu verdienen.

Und davon abgesehen, war es eine Frechheit von verschiedenen EU-Politiker-Darstellern, Kritiker und Demonstranten als „Bots“, „gekaufte Demonstranten“ und dergleichen zu verunglimpfen. Mir kommen auch so Zweifel, ob diese Urheberrechtsreform so glücklich ist. Sie klingt nicht so schlimm. Aber es gibt einen ganzen Haufen Menschen, für die der gestrige Tag der Abstimmung ein „schwarzer Tag der Netzfreiheit“ war.

Am allermeisten stört mich aber an der gesamten Diskussion, dass a) fast ausschließlich über Artikel 13 – nun 17 – diskutiert wurde und b) die Plattformen ausnahmslos positiv wegkommen. Aber die sind nicht die „guten“. Deshalb habe ich mich auch von Facebook vorerst zurückgezogen. Und die alles entscheidende Frage ist doch: Gäbe es eine Alternative?

Ich habe keine. Mir gefällt auch nicht jedes Wort auf den 149 Seiten. Und eine Erneuerung für das Zeitalter der „Netzkultur“ ist diese Urheberrechtsreform auch bloß nicht. Aber was ich bisher in dem oben hinter dem Button verlinkten Dokument gelesen habe, klingt erstmal nicht nach dem Ende des freien Internet. Es sei denn, ich habe etwas überlesen. Dann zeigen Sie es mir bitte.

Die Konsequenz daraus?

Europa verzettelt sich, heißt es. Kritisiert wird die Regulierung. Wie gesagt: Schön ist anders. Aber es haben sich viel zu viele in die Abhängigkeit der großen Internet-Konzerne begeben. Vielleicht wurde gestern deshalb auch nur ein Pyrrhussieg errungen. Aber ist das die einzige Konsequenz aus der Urheberrechtsreform?

Mir wurde zum Beispiel bewusst, dass es für Blogger eine Interessenvertretung gibt. Ich will meine Interessen vertreten sehen. Und da sehe ich gute Chancen in so einer Vereinigung. Wenn in den Spielregeln auch Blogger vorkommen, sehe ich das durchaus gegeben. Deshalb habe ich mich dort registriert und einen Mitgliedsantrag ausgefüllt.

Das ändert aber nichts daran, was da gestern alles kaputt gemacht wurde. Da ist von einem ekelhaften Kuhhandel „Akzeptiert Frankreich Nordstream 2, winken wir Artikel 13 durch“ die Rede. Und es wird berichtet, dass sich Parlamentarier beim Abstimmen verklickt hätten. Das Vertrauen in die europäische Politik wurde obszön beschädigt, und dies ist irreparabel.

Da kann man die Urheberrechtsreform noch so wohlwollend auslegen wollen. Es bleiben unzählige Fragezeichen. Ich finde die Reform auch nicht schön. Aber sie ist nicht so schlecht, wie sie gemacht wird. Die Ränkespiele im EU-Parlament werden bleiben. Und das macht mir noch viel mehr Sorgen als irgendein Upload Filter, der eh nicht auf mich zutrifft.

One Reply to “Urheberrechtsreform: Ist es vielleicht gar nicht so schlimm?”

  1. Hallo Henning,

    vielen Dank für den informativen und, wie ich finde, ausgewogenen Beitrag zu diesem Thema.

    Auch ich habe mich damit schon ein bisschen auseinandergesetzt und ja, die Diskussionen werden weitergehen, vielleicht auch, weil die Generation Internet von den europäischen Parlamentariern nicht von Anfang an mit einbezogen wurden.

    Wie so oft, ist die Politik zu abgehoben, um der Basis gerecht zu werden.

    LG Manni

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